Zugang zu sicherer Abtreibung und die Rechtslage zu Schwangerschaftsabbrüchen in Polen und Deutschland

Jeden Tag werden Abtreibungen aus unterschiedlichen Gründen vorgenommen, die von körperlichen über psychische bis hin zu finanziellen Aspekten reichen. Obwohl sich Studien darüber einig sind, dass Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen nicht zu weniger Eingriffen führen, verschärfen viele Länder ihre Regelungen oder erschweren den Zugang zu legalen Optionen. Während die Regelungen in Polen als eine der strengsten in Europa gelten und den Zugang zu sicherer Abtreibung Schritt für Schritt verschlechtern, plant die Ampel-Regierung in Deutschland derzeit eine Streichung des § 219a StGB, was eine Verbesserung der Situation von ungewollt Schwangeren darstellen könnte.
Der Beitrag soll die Rechtslage in Deutschland und Polen darstellen und appellieren, dass sicherer Zugang zu Abtreibungsmöglichkeiten flächendeckend gewährleistet sein muss.

Strafbare Schwangerschaftsabbrüche

In Deutschland sind die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in den §§ 218 ff. Strafgesetzbuch (StGB) im Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“, in dem unter anderem der Mordtatbestand geregelt ist, aufgeführt: Nach § 218 StGB ist eine Abtreibung grundsätzlich sowohl für die schwangere Person als auch für den*die den Abbruch Durchführende strafbar. Von diesen Grundsätzen werden in § 218a StGB Ausnahmen postuliert: Das gemischte Modell aus Fristen-, Beratungs- und Indikationslösung ist in weiten Teilen Ergebnis verfassungsrechtlicher Rechtsprechung und deren Umsetzung. In beiden Abtreibungsurteilen des Bundesverfassungsgerichts (1975 und 1993) nimmt jenes eine staatliche Schutzpflicht gegenüber ungeborenem Leben an. Im zweiten Urteil wird argumentiert, dass diese Pflicht nur bei Einsatz des Strafrechts erfüllt sei — es bestehe eine grundsätzliche Rechtspflicht zur Austragung des „Kindes“. Abtreibung stellt daher nach wie vor eine strafbare Handlung dar, die rechtswidrige Tat bleibt lediglich straflos.

Auch in Polen ist das aktuelle Abtreibungsrecht vom Verfassungsgericht, dem Trybunał Konstytucyjny, geprägt. Dieses erklärte im Oktober 2020 Teile des bis dahin geltenden Abtreibungsgesetzes für verfassungswidrig. Seit dem Urteil besteht die Möglichkeit zur Abtreibung nur noch bei Vorliegen einer medizinischen oder kriminologischen Indikation, embryopathische Gründe werden nicht mehr akzeptiert. Schwangere Personen, die einen nicht überlebensfähigen Fötus in sich tragen, haben in Polen keine legalen Abbruchsoptionen. Eine Beratungslösung wie in Deutschland existiert nicht. Neben der Kaperung des Trybunał Konstytucyjny durch die nationalkonservative Regierung ist auffällig, dass der polnische Abtreibungsdiskurs besonders stark von der katholischen Kirche geprägt ist und durch diese befeuert wird. Vergleichbar mit der deutschen Rechtslage ist die Abbruchshandlung in Polen für die sie durchführende Person — in der Regel also für die Ärzt*innen — in den meisten Fällen gesetzeswidrig. Schwangere Personen machen sich dagegen im Gegensatz zur deutschen Rechtslage grundsätzlich nicht strafbar – selbstverständlich tragen sie aber gesellschaftliche Konsequenzen.

Fakten sprechen gegen Kriminalisierung

Ein von vielen Abtreibungsgegner*innen ignoriertes Argument, das für die Legalisierung von Abtreibung spricht, ist die quantitative Betrachtung: Restriktive Gesetze führen nicht zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen. Länder, in denen Abbrüche nicht legal vorgenommen werden können, verzeichnen eben nicht weniger Abtreibungen, sondern nach einer Studie des Guttmacher-Insitututs das Gegenteil: In Ländern mit illiberalen Abtreibungsgesetzen stieg die Zahl der Abtreibungen.
Zudem werden Schwangerschaftsabbrüche in Systemen, die sicheren Zugang zu diesen verwehren, in die Kriminalität verschoben. Nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden weltweit 45 % aller Abtreibungen nicht sicher durchgeführt. Die meisten hiervon finden zwar in  sog. Entwicklungsländern statt, jedoch lässt diese Zahl einen Schluss darauf zu, was bei strengen Vorschriften geschieht: Menschen sterben. 4,7% – 13,2 % der maternal deaths – ein misslich gewählter Begriff, da die abtreibenden Menschen ja gerade keine „Mütter“, zumindest dieses Fötus, sein möchten – lassen sich auf unsichere Abtreibungen zurückführen.

Verschärfung von Ungleichheiten

Darüber hinaus werden durch die Kriminalisierung von Abtreibungen gesellschaftliche Ungleichheiten verschärft. Alle von der Abtreibungsproblematik selbst körperlich betroffenen Personen sind strukturell geschlechtsbezogener Diskriminierung ausgesetzt. Nicht nur den psychischen Druck, sondern auch den zeitlichen Aufwand, die soziale Stigmatisierung und andere Folgen tragen nie Cis-Männer.
Durch die Kriminalisierung werden zudem soziale Diskrepanzen erweitert: Zwangsläufig können Menschen mit höherem Bildungsgrad und besserem Einkommen schneller zu anderen Abtreibungsmöglichkeiten greifen als Personen mit niedrigerem Bildungsstand oder weniger liquiden Mitteln. Politiker*innen wie die der PiS, die Versprechen gegenüber „sozial Schwächeren“ abliefern, müssten also konsequenterweise auch diesen legalen Zugang fordern.

Reproduktive Selbstbestimmung

Das zentrale Argument für die Legalisierung ist das Recht von Menschen über ihren eigenen Körper zu entscheiden und keiner Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Insbesondere auf internationaler Ebene wird daher der Zugang zu Abtreibungen durch das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und Gesundheit gesichert. Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen hat vor knapp zwei Jahren eine konkretisierende Erklärung (Nr. 36) zu Artikel 6 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) veröffentlicht. In Art. 6 ICCPR wird grundsätzlich jedem menschlichen Individuum ein Recht auf Leben zugesprochen. In der Konkretisierung heißt es, dass es Aufgabe der Mitgliedstaaten sei, die Gesundheit von schwangeren Personen zu gewährleisten und sie nicht dem Risiko illegaler Abtreibungen auszusetzen. Der Ausschuss spricht sich daher für die Entkriminalisierung von Abbrüchen und für einen allgemeinem Zugang zu Bildungs- und Verhütungsangeboten aus. Auch hier werden demnach Schwangerschaftsabbrüche als gesundheitliche Dienstleistung und durch die Konkretisierung von Art. 6 ICCPR der Zugang dazu als Menschenrecht aufgefasst.
Auch das EU-Parlament hat sich dieser Entwicklung angeschlossen und fordert seit Juni 2021 offiziell alle Mitgliedstaaten auf, die reproduktive und sexuelle Gesundheit und die damit verbundenen Rechte von Frauen zu schützen und zu fördern.

Rechtliche und gesellschaftliche Hürden

Sowohl in Deutschland als auch in Polen wird die Wahrnehmung dieses Rechts vor allem durch die aufgrund scharfer Regelungen (wie § 219a StGB) sinkende Zahl von Abbrüchen vornehmenden Ärzt*innen erschwert. Während die deutsche Regierung die Abschaffung des sog. „Werbeverbots“ beabsichtigt, plant die polnische Regierung eine Art zentrales Schwangerschaftsregister. Nach diesem müssten Patient*innen regelmäßig Angaben über Schwangerschaften machen, ohne einen bestehenden Zusammenhang mit dem Grund des Ärzt*innenbesuches. Dadurch ließe sich bei jeder erfassten Schwangerschaft zurückverfolgen, ob diese abgebrochen wurde, was die geplante polnische Regelung insbesondere durch die Zugriffsmöglichkeit durch die Staatsanwaltschaft missbrauchsanfällig macht.

Ein zentraler Aspekt, der Deutschland und Polen verbindet, ist die systematische, konsequente und bewusste Erschwerung, legale Abtreibungsmöglichkeiten wahrzunehmen: In Polen wird insbesondere durch den gesellschaftlichen Druck ein Umfeld der Angst für Personen, die abtreiben möchten, geschaffen. Menschen berichten über intensive Befragungen durch Ärzt*innen – die Angst vor Stigmatisierung ist groß. Zudem stellen die bekannt geworden Todesfälle wie die von Izabela Z. oder Agnieszka T., bei denen jeweils überlebensunfähige Föten nicht rechtzeitig entfernt wurden, was vermutlich zu einem septischem Schock führte, zwar eine Argumentationsgrundlage für die Legalisierung von Abtreibungen dar, gleichzeitig zeigen sie aber schwangeren Personen auf, wie gefährlich es sein kann, wenn Ärzt*innen sich unsicher über die Rechtslage sind oder sich aufgrund ethisch-moralische Vorstellung gegen eine Handlung entschieden wird.

Natürlich gibt es auch in Deutschland Erfahrung mit Stigmatisierung und Unsicherheiten: Neben den Diskussionen um Gehsteigberatungen, Holocaust-Vergleiche und die Frage nach der Übernahme der Abtreibungskosten durch die Krankenkasse ist hier insbesondere die Angst von abtreibenden Ärzt*innen vor strafrechtlicher Verfolgung und den daraus gegebenenfalls resultierenden Kosten hoch, weshalb die Zahl von Schwangerschaftsabbrüche durchführenden Personen stetig sinkt. Zudem treiben die meisten Personen in Deutschland auf Grundlage der Beratungslösung ab (ca. 96 %), was immer mit dem Besuch einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle einher geht, die nach § 219 StGB dem „Schutz des ungeborenen Lebens gilt“.

Zugang zu sicherer Abtreibung gewährleisten

Im Ergebnis wird weder die Lösung zu Schwangerschaftsabbrüchen in Polen noch in Deutschland (unfreiwillig) schwangeren Personen gerecht. Besonders relevant scheint in beiden Staaten die Diskussion um religiöse und ethisch-moralische Aspekte, wobei fraglich ist, inwiefern psychische und körperliche Gefahren von schwangeren Personen diese ideologischen Argumente rechtfertigen. Zudem ist es problematisch zu beobachten, wie empirische Fakten ignoriert werden, um gesellschaftliche Stimmungen zu emotionalisieren.

Abtreibung muss legal und sicher sein. Daran sollte in den nächsten Jahren keine Diskussion vorbeiführen. Es gilt das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung nicht nur vollständig anzuerkennen, sondern rechtlich wirksam zu gewährleisten – denn die Entscheidung über den eigenen Körper sollte letztlich bei den selbst betroffenen Personen liegen.

Fundamentale Menschenrechte - aber nicht für Schwangere? Abtreibungen in der deutschen und US-amerikanischen Realität
Reproduktive Selbstbestimmung - ein Grundrecht zweiter Klasse?