Das Urteil hört sich zunächst skandalös an: ein gehbehinderter Mann, der seine schwerbehinderte Enkeltochter betreut, darf keinen Fahrstuhl auf eigene Kosten als Wohnungseigentümer einbauen. Das Urteil des Bundesgerichtshof (BGH) dreht sich dabei um Fragen der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten. Kann das Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung aus Art. 3. Abs. 3 S. 2 Grundgesetz in eine solche Entscheidung einfließen? Und wenn ja, hat das Gericht es genügend berücksichtigt?
Die Eigentümer stimmten gegen den Fahrstuhl
Zunächst zum Fall: Der im Jahr 1936 geborene Mann ist Eigentümer einer im fünften Stock gelegenen Wohnung. In dieser Wohnung betreut er zeitweise seine schwerbehinderte Enkeltochter. Auf der Eigentümer_innenversammlung stellte er gemeinsam mit anderen Wohnungseigentümer_innen den Antrag, einen geräuscharmen und energieeffizienten Personenaufzug in die offene Mitte des Treppenhauses auf eigene Kosten einzubauen. Doch der Antrag fand keine Mehrheit.
Daraufhin zog der Mann vor Gericht. Er wollte erreichen, dass die übrigen Eigentümer_innen den Einbau des Aufzuges dulden müssen. Das Amtsgericht lehnte die Klage ab. Vor dem Landgericht bekam der Kläger jedoch Recht: Durch eine sogenannte Beschlussersetzung wurde entschieden, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft die Errichtung und den Betrieb eines Personenaufzugs in dem Treppenschacht durch den Kläger dulden müsse.
Nach dem BGH wiegen Eigentumsrechte stärker
Gegen dieses Urteil wehrten sich die anderen Eigentümer_innen vor dem BGH. Dieser hob das Urteil des Landgerichts auf. Da die Wohnungseigentümer_innen nicht mehrheitlich für den Aufzug gestimmt haben, dürfe der Kläger auch nicht bauen. Dass die Zustimmung der Eigentümer_innen erforderlich sei, richte sich nach dem Wohnungseigentümergesetz (WEG). Es komme demnach darauf an, ob den anderen Wohnungseigentümer_innen ein Nachteil im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG entsteht. Ein solcher ist gegeben, wenn er nach § 14 Nr. 1 WEG „über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht“. Diese Generalklausel ermöglichte es dem Gericht, die jeweils grundrechtlich geschützten Interessen – die Eigentumsrechte beider Parteien aus Art. 14 Abs. 1 GG und das Diskriminierungsverbot aus Art. 3. Abs. 3 S. 2 GG – miteinander abzuwägen. Das Gericht stellte dabei fest, dass wegen des erheblichen Eingriffs in die Bausubstanz und möglicher Haftungsrisiken die Eigentumsrechte der Miteigentümer_innen dem Diskriminierungsverbot vorzuziehen seien.
Grundrechtliche Abwägung des BGH vernachlässigt die Vorteile von Diskriminierungsverboten
Zunächst ist Folgendes festzuhalten: Grundrechte sind als Abwehrrechte von privaten Personen gegen staatliche Maßnahmen konzipiert. Sie wirken zwischen Staat und Privaten. Dass sie aber auch im Verhältnis von Bürger_innen untereinander gelten können, ergibt sich aus der gefestigten Rechtsprechung zur sogenannten mittelbaren Drittwirkung. Grundrechte können auch dann zwischen Privaten Wirkung entfalten, wenn auslegungsbedürftige Generalklauseln mit den Wertungen der Grundrechte gefüllt werden müssen. Der Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG beinhaltet demnach nicht nur individuelle Abwehrrechte gegen den Staat, sondern schafft eine objektive Werteordnung, die auch auf die rechtlichen Beziehungen zwischen Privaten Einfluss nehmen kann. Diese Rechtsprechungsentwicklung ist begrüßenswert, da sie der effektiven Durchsetzung von Grundrechten dient. Auch ist es positiv anzumerken, dass der BGH im vorliegenden Urteil den Fall der mittelbaren Drittwirkung anerkannt hat und eine Abwägung vorgenommen hat.
Die Gewichtung von bestehenden Nachteilen ist jedoch mehr als fragwürdig. Dass im Ergebnis zwei Personen aufgrund ihrer Behinderung bzw. auch ihres Alters ihr Eigentum nicht mehr werden nutzen können, hat das Gericht nicht hinreichend berücksichtigt. Schließlich stellt Art. 3 Abs. 3 GG nicht nur fest, dass Diskriminierung zu vermeiden sei wo es geht, sondern dass sie verboten ist. Wenn sich Eigentümer_innen in einer Abstimmung nicht daran halten wollen, muss das Diskriminierungsverbot gerichtlich durchgesetzt werden.