Aus den Augen aus dem Sinn?

Heute am 30. Juli ist der von den Vereinten Nationen erklärte internationale Tag gegen Menschenhandel. Nach dem Bundeslagebild „Menschenhandel und Ausbeutung“ des Bundeskriminalamts (BKA) gab es im Jahr 2017 circa 671 Opfer von Straftaten nach den §§ 232 ff. Strafgesetzbuch (StGB). Die meisten Betroffenen sind Opfer sexueller Ausbeutung, wobei die Dunkelziffer weitaus höher zu veranschlagen ist. Problematisch ist, dass die meisten Betroffenen Angehörige aus Drittstaaten sind, die in prekären Aufenthaltssituationen in Deutschland leben. Im Sinne des Opferschutzes und zur Erleichterung des Strafverfahrens soll diesen Menschen daher gemäß § 25 Abs. 4a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ein Aufenthaltstitel verliehen werden. In der Beratungspraxis von Ban Ying e.V., eine Koordinations- und Fachberatungsstelle gegen Menschenhandel, zeigt sich aber, dass diese Regelung mehrere problematische Tatbestandsmerkmale aufweist.

Hintergrund und Voraussetzungen des § 25 Abs. 4a AufenthG

25 Abs. 4a AufenthG dient der Umsetzung der Richtlinien 2004/81/EG des Rates vom 29.4.2004 über die Erteilung von Aufenthaltstitel für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren. Die Europäische Regelung koppelt den Erhalt dieses Aufenthaltstitels an die „Bereitschaft zur Zusammenarbeit“ des Opfers, konkretisiert dieses Erfordernis jedoch nicht weiter.

In Deutschland wurde bei der Umsetzung der Richtlinie ein restriktiver Ansatz gewählt, bei welchem die „Zusammenarbeit“ als Aussagebereitschaft vor Gericht normiert wurde. Die vor Gericht getätigte Aussage muss insbesondere von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet werden. Erforderlich ist also, dass die Aufklärung des Sachverhalts durch die Aussage weitergebracht wird. Dazu kommt, dass jede Verbindung zu den Beschuldigten abgebrochen sein muss.

Der Aufenthaltstitel wird gemäß § 26 Abs.1 S. 5 AufenthG für ein Jahr erteilt und anschließend für die gesamte Dauer des Strafverfahrens verlängert. Nach Beendigung des Verfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a S. 3 AufenthG nur verlängert werden, sofern humanitäre oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse eine Anwesenheit in Deutschland erfordern.

Kritik

Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 4a AufenthG sind nicht nur restriktiv, sondern auch weitestgehend unbestimmt. Was bedeutet es, dass eine Aussage nützlich ist und die Erforschung eines Sachverhalts weiterbringt? Und warum soll ein Opfer, das aussagebereit ist, aber dessen Aussage nicht für „sachgerecht“ erachtet wird, keinen Aufenthaltstitel bekommen?

Durch die Koppelung des Bleiberechts der Opfer an ihre Aussagenbereitschaft entsteht die Gefahr der Instrumentalisierung von Betroffenen im Interesse der effektiven Strafverfolgung. Auch wenn sie sich als aussagebereit erklären, haben sie erstmal keine Rechtssicherheit hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus, wenn sie die ersten Angaben bei der Polizei machen. Dazu kommt, dass die Gewährung des Anspruchs im Ermessen die Strafverfolgungsbehörde liegt, was auch ein Mangel an Rechtssicherheit bedeutet. Demgegenüber sollten die Opfer als Betroffene von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen sowie ihr Schutz und ihre Rechte als erstrangig beachtet werden.

Probleme in der Praxis

Die praktische Anwendung des § 25 Abs. 4a AufenthG ist oftmals problematisch und spiegelt die oben genannten Kritikpunkte wider. In den Prozess zur Erteilung des Aufenthaltstitels sind Polizeibehörde, Ausländerbehörde, Staatsanwaltschaft und Beratungsstellen einbezogen. Die Kooperation erweist sich jedoch als schwierig. Häufig erhalten weder Betroffene noch Beratungsstellen Informationen darüber, wann Verfahren an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Dadurch wird die Erteilung eines Aufenthalts nach § 25 Abs. 4a AufenthG praktisch verwehrt. Außerdem werden in vielen Fällen anstelle von Aufenthaltserlaubnissen nur Duldungen nach § 60a AufenthG ausgestellt, obwohl Betroffene bei der Polizei ausgesagt haben und in einigen Fällen sogar bereits durch die Staatsanwaltschaft ermittelt wurde. Auch bleibt unklar, wie Betroffene von einer Duldung zu einer Aufenthaltserlaubnis wechseln können. Dementsprechend leben Betroffene meist in der Angst, abgeschoben zu werden. Dies kann dazu führen, dass sie keine Anzeige erstatten.

Die Opfer, die bereit sind, im Strafverfahren auszusagen, bekommen grundsätzlich nur eine Aufenthaltserlaubnis für sechs Monate, obwohl § 26 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich regelt, dass die Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr zu erteilen ist. Außerdem kann das Strafverfahren tatsächlich viel länger dauern. Eine derart kurze Aufenthaltserlaubnis erschwert den Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt und birgt die Gefahr einer erneuten Traumatisierung. Denn die Betroffenen müssen sich aufgrund von Anträgen zur Verlängerung des Aufenthaltstitels immer wieder mit dem Sachverhalt des Menschenhandels auseinanderzusetzen und leben in der Unsicherheit, dass dieser nicht verlängert wird.

Ein weiteres Problem ist, dass die Verlängerung des Aufenthalts nach einem abgeschlossenen Strafverfahren aus humanitären oder persönlichen Gründen meist ohne konkrete Begründung von der Ausländerbehörde abgelehnt wird. Wiederum bringt die Ermessensentscheidung viel Rechtsunsicherheit mit sich.

Fazit

In den Verfahren gegen Menschenhändler*innen kommt den Betroffenen als Zeug*innen eine besondere Rolle zu, da der Personenbeweis meist das einzige Beweismittel darstellt. In der Regel kommt es nur durch die Aussagen der Geschädigten zur Anklage und zur Verurteilung von Täter*innen. Es gibt jedoch noch zahlreiche Probleme sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Natur. Um diese Probleme zu lösen, erfordert es einerseits einen stärkeren Fokus auf die Interessen der Opfer. Anderseits gibt es einen Handlungsbedarf auf Seiten der Gesetzgebung sowie einen Verbesserungsbedarf bei den Ausländer- und Strafverfolgungsbehörden. Menschenhandel kann letztlich nur effektiv bekämpft werden, wenn die Betroffenen von Menschhandel geschützt und unterstützt würden.

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