COP oder Flop (26)? – Eine Karlsruher Perspektive auf die Ergebnisse des Weltklimagipfels

Der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts hat ohne Zweifel für Furore gesorgt. Oft unbeachtet blieb dabei ein wichtiger Aspekt: Auch für das Verhalten Deutschlands bei Klimakonferenzen hat Karlsruhe Maßstäbe gesetzt. In einem Monat jährt sich der letzte Weltklimagipfel – COP26 – und beginnt der nächste – COP27. Da die Klimakrise in der Zwischenzeit weiter eskaliert ist, binden die Karlsruher Vorgaben die Bundesregierung bei dieser Klimakonferenz umso mehr – bei der letzten blieben der globale Süden und künftige Generationen wieder einmal auf der Strecke.

Die deutsche Delegation stand bei den Verhandlungen des 26. Weltklimagipfels in Glasgow unter massivem Druck. Neben einer zunehmend klimasensiblen Öffentlichkeit saß den Verhandler*innen auch der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von April 2021 im Nacken. Den Vorgaben dieser Entscheidung entspricht das Ergebnis des Glasgower Klimagipfels gerade noch. Bei der bald anstehenden Klimakonferenz COP27 wird die Bundesregierung jedoch deutlich ehrgeiziger für den Klimaschutz eintreten müssen.

Doch zunächst zurück in den April 2021. Mitten im letzten Bundestagswahlkampf sorgte das Bundesverfassungsgericht für einen politischen Paukenschlag: Es erklärte die Klimapolitik der damaligen GroKo für verfassungswidrig. Die Folge: Große Panik im Wahlkampf, ein schnell zusammengebasteltes Klimapaket samt „Wir haben verstanden“ Rhetorik in Berlin. Die Entscheidung hebt effektiven Klimaschutz in den Rang eines Verfassungsgutes. Grund dafür sind vor allem drei juristische Neuerungen.

Grundgesetz heißt Klimaschutz – Das Klimaschutzgebot

Erstens: Das Grundgesetz enthält in Art. 20a GG ein Klimaschutzgebot. Dieses verpflichtet den deutschen Staat, klimaneutral zu werden. Grundgesetz heißt Klimaschutz. Die konkrete Umsetzung überlässt das BVerfG dem Gesetzgeber. Diesem kommt eine sogenannte Konkretisierungsprärogative zu, um das Klimaschutzgebot in Form zu gießen. Dafür darf und muss der Gesetzgeber derzeitige CO2-effektive Freiheitsbetätigungen einschränken (Rn. 185 der Entscheidung).

Karlsruhe verpflichtet den Gesetzgeber also gerade nicht zu konkreten Maßnahmen, etwa einem Tempolimit. Stattdessen muss er durch sein Klimagesamtpaket sicherstellen, dass die Welt auf möglichst anderthalb, jedenfalls deutlich unter 2 °C (im Folgenden: „das Parisziel“) zusteuert (Rn. 242).

Eine verfassungsrechtliche Garantie für künftige Freiheit

Die daraus resultierenden Freiheitseinschränkungen bzw. -chancen müssen fair über die kommenden Generationen verteilt werden.  Dies meint die vielbeschworene „intertemporale Freiheitssicherung“, die das BVerfG im Klimabeschluss aus den Grundrechten insgesamt entwickelt. Womit wir bei der zweiten Neuerung wären. Diese intertemporale Freiheitssicherung sieht das Gericht im Ergebnis verletzt. Grund: Das damalige Klimaschutzgesetz bürde die aus dem Klimaschutzgebot resultierende Pflicht zur Treibhausgasminderung zu einseitig künftigen Generationen auf. Die hieraus entstehende Gefahr extremer Freiheitsverluste in der Zukunft habe der Gesetzgeber nicht hinreichend eingedämmt (Rn. 195). Das verletzt die Verfassung.

Eine internationale Verpflichtung

Die dritte Neuerung ging in diesem Trubel ein wenig unter: Die internationale Dimension der Entscheidung. Das aus Art. 20a GG folgende Klimaschutzgebot „verlangt vom Staat international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung auf Klimaschutz hinzuwirken“ (vgl. Rn 201). Die Bundesrepublik muss international auf Klimaschutz drängen. Und insbesondere auch die vereinbarten Lösungen umsetzen (ebd.). Womit wir beim deutschen Verhalten bei COP26 und künftigen Klimakonferenzen wären.

Ein (weiterer) Gipfel der Unzulänglichkeit

Deutschland stimmte dem Abschlussdokument der COP26 zu. Zentraler Punkt ist das Bekenntnis zum Parisziel, wofür der dünne Text des Abschlussdokuments verschiedene Maßnahmen verspricht. Angenommen, die Staaten hielten ihre zugesagten Verpflichtungen ein, kämen wir auf 2,4°C Erderwärmung. Ein absurd offensichtlicher Widerspruch. Deutlich wichtiger waren deshalb die zusätzlich ausgehandelten Absichtserklärungen. Halten die Staaten diese ein, steuert die Welt auf immerhin lediglich 2,1°C zu.

Doch genau an dieser Stelle verweigerte sich Deutschland. Zwar verpflichtet sich die Bundesrepublik zur Erhaltung des Waldes und Reduktion von Methan. Einer Initiative zum Verbot des Verbrennungsmotors ab 2040 verschloss sich Deutschland jedoch. Ohne einen Ausstieg Deutschlands aus dem Verbrenner ist das Erreichen von 1,5°C nach Expert*inneneinschätzung aber ausgeschlossen. Ebenso versagt die Bundesregierung einer Initiative zum Ausstieg aus der Förderung von Kohle und Erdgas (BOGA) den Segen.

Hält das den Karlsruher Vorgaben stand?

Formal hat sich die Bundesrepublik mit Unterzeichnung des Abschlussdokuments dazu bekannt, möglichst 1,5°C anzusteuern, und schrittweise aus der Kohlenutzung auszusteigen. Allerdings fand diese Passage wohl überhaupt nur Eingang in den Vertragstext, weil der globale Norden – allen voran die EU, Großbritannien und die USA – Öl und Gas aus diesem heraushalten wollten (Minute 08:50). Sollten Vertreter*innen Deutschlands tatsächlich darauf hingewirkt haben, eine weitergehende völkerrechtliche Verpflichtung zur Reduzierung fossiler Brennstoffe zu verhindern, ohne gleichzeitig anderweitige Maßnahmen anzustoßen, dürfte dies mit der internationalen Dimension des Klimaschutzgebots aus Art. 20a GG kaum vereinbar sein. So wird der (internationale) Kohleausstieg allein nicht ausreichen, um die Welt auf 1,5° zu steuern. Auch im Hinblick auf die intertemporale Freiheitssicherung erscheint dies problematisch. Denn diese gebietet gerade, die Reduktionslasten fair über die kommenden Generationen zu verteilen und die dafür nötigen Schritte rechtzeitig einzuleiten. Anders als durch schrittweise Reduktion lässt sich das kaum erreichen. Ohne einen rechtzeitigen Ausstieg aus Öl und Gas kann auch Deutschland seine Klimaziele kaum erreichen.

Konkrete Folgen dürfte das jedoch kaum haben. Zum einen, da die intertemporale Freiheitssicherung zwar einklagbar ist – sich die vorgeworfene Verhandlungstaktik jedoch nur schwer belegen ließe. Die Bundesregierung müsste etwaige Dokumente wohl nicht herausgeben, da sie in den sogenannten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung fallen könnten. Zum anderen verleiht Art. 20a GG keine subjektiven Rechte (Rn. 112). Heißt: Das Klimaschutzgebot, und damit auch die etwaige Verletzung dessen internationaler Dimension, ist nicht direkt einklagbar.            
Auch der Nichtbeitritt zur Initiative zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor reicht nicht aus, um eine Verletzung der intertemporalen Freiheitssicherung anzunehmen. Einerseits, da solcherlei Absichtserklärungen rechtlich unverbindlich sind. Andererseits, da staatliches Nichtstun nur dann Grundrechte verletzen kann, wenn der Staat dadurch seine Pflicht, die Grundrechte zu schützen, verletzt. Dies wiederum überprüft Karlsruhe generell nur sehr zurückhaltend – und im Bezug auf die intertemporale Freiheitssicherung im Beschluss überhaupt nicht. Das Gericht thematisiert kurz, ob das Grundrecht auf den Schutz von Leben und Gesundheit aus Art. 2 II 1 GG verletzt ist, lehnt dies aber recht schnell ab. Nur wenn Deutschland keine, offensichtlich ungeeignete oder absolut ineffektive Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen hätte, wäre das Grundrecht verletzt. Dies lässt sich im Hinblick auf die anderen bei COP26 getroffenen Vereinbarungen nicht sagen, insbesondere da die Bundesrepublik andere Staaten nicht zu stärkeren Maßnahmen zwingen könnte.

All dies steht unter einem Vorbehalt: Mit fortschreitendem Klimawandel wächst die Bedeutung des Klimaschutzgebotes, so Karlsruhe. Das bedeutet, dass sich bei (noch) weiterer Eskalation der Klimakrise der Spielraum von Gesetzgebung auf nationaler wie jener der Bundesregierung auf internationaler Ebene verengt. Die Bewertung der Ergebnisse künftiger Klimagipfel – wie des anstehenden COP27 – könnte also wesentlich schärfer ausfallen. Doch was bedeutet all das für jene, die bereits heute am meisten unter der Klimakrise leiden?

Der Betrug am globalen Süden – Karlsruhe wird nicht helfen

Nachdem die Industrieländer bereits die bei der COP 2009 zur Klimafinanzierung zugesagten 100 Mrd. US$ nicht einhielten, blockierten EU und andere Akteure des globalen Nordens in Glasgow auch die Einrichtung eines Fonds zur Kompensation bereits eingetretener Klimaschäden (loss and damage fund). Stattdessen soll (mal wieder) ein Dialog, diesmal der „Glasgowdialog“ entstehen.

Das Bundesverfassungsgericht wird den hierdurch Betroffenen im globalen Süden nicht helfen. In seinem Klimabeschluss stellt das Gericht fest, „schon das internationale Eintreten für den Klimaschutz“ und „konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des international zum Klimaschutz Vereinbarten“ (Rn. 181) genügen, um etwaige Schutzpflichten des deutschen Staates gegenüber im Ausland lebenden Menschen zu erfüllen. Die intertemporale Freiheitssicherung hingegen kommt diesen Menschen konzeptionell gar nicht zu Gute – weder in ihrer Freiheits-, noch in einer etwaigen Schutzpflichtendimension –  und wird in Karlsruhe daher diesbezüglich überhaupt nicht diskutiert.

Und nun?

Karlsruhe handhabt grundrechtliche Schutzpflichten, auch hier im Klimabeschluss, bedauerlich restriktiv. Dabei ist doch gerade die Klimakrise paradigmatisch für die Bedeutung staatlicher Schutzpflichten: nur durch staatliche Lenkung lassen sich Wirtschaft und Gesellschaft auf einen klimaneutralen Pfad lenken und radikale Freiheitsverluste künftiger Generationen, hierzulande wie überall auf der Welt, vermeiden. Einzelne sind da machtlos. Dennoch wählt Karlsruhe im Klimabeschluss anstelle des dogmatisch naheliegenderen Weges der Schutzpflichten den Umweg über die völlig neue Grundrechtsdimension der intertemporalen Freiheitssicherung. Statt beides komplementär zu denken, schließt das Gericht damit Menschen aus dem globalen Süden de facto von Klimaklagen aus. Wieder einmal wird damit denen, die besonders von Ungerechtigkeit betroffen sind, der Zugang zu einem Forum zum Kampf gegen ebenjene verwehrt.

Internationale Verhandlungen wie die COP26 wird das Bundesverfassungsgericht wohl unkommentiert lassen müssen – es bleibt hinsichtlich Art. 20a GG bei einem nicht direkt einklagbaren staatlichen Klimaschutzauftrag. Dessen internationale Dimension dürfte sich vor allem als Verhandlungsmasse bei künftigen Klimakonferenzen sowie diskursiv entfalten. Denn den Vorwurf, gegen– wenn auch gegen nicht direkt einklagbares –, Verfassungsrecht zu verstoßen,möchte sich wohl keine Regierung machen lassen. Erst recht nicht auf dem Feld der potentiell wahlentscheidenden Klimapolitik.

Umso mehr kommt es daher auf Kläger*innen hierzulande an: Diese können die intertemporale Freiheitssicherung und damit mittelbar das Klimaschutzgebot durchsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich betont, dass bei weiter eskalierender Klimakrise dem Klimaschutzgebot mehr Gewicht zukommt. Schon 2021 hat Deutschland sein Klimaziel verfehlt. Schon jetzt führt der Ukrainekrieg zu einer verlängerten Nutzung fossiler Energieträger. Hier zeigt sich die Macht des Klimabeschlusses: auch bei Verlagerung der öffentlichen Aufmerksamkeit muss Deutschland qua Verfassung auf einen klimaneutralen Pfad kommen. Es ist an engagierten Menschen hierzulande, die deutsche Politik höchstrichterlich durch kontinuierliche Klimaklagen daran zu erinnern.

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