Das Recht, anders zu leben – auch als Arbeitnehmer*in

Der Kampf für den Feminismus, für Selbstbestimmung und gegen Stereotype ist eine Wahnsinnsaufgabe. Es ist gut verständlich, dass einzelne darüber resignieren und sich darauf beschränken, anderen ein „Recht auf Faulsein“ an den Kopf zu werfen und nach Hause zu gehen. Wir wollten uns jedoch nicht mit allgemeinen Floskeln und Grundsätzen abfinden, sondern haben uns gefragt: Was bedeutet denn Recht auf Faulsein konkret? Was hat das mit Feminismus zu tun? Und vor allem: Welche Schritte könnten gegangen werden, um dem richtigen Leben im falschen zumindest ein kleines Stück näher zu kommen?

Die herrschende Geschlechterstereotypisierung in der Erwerbsarbeit

Bei dem Projekt, feministische Forderungen an die Arbeitswelt zu konkretisieren, mussten wir uns natürlich beschränken, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Wir haben uns erstens auf den Bereich der abhängigen Arbeit konzentriert. Und wir haben uns zweitens erst einmal nur gefragt, wie mehr Selbstbestimmung über die eigene Zeit in Arbeitsverhältnissen erreicht werden könnte, obwohl ein Arbeitsverhältnis bereits begriffsnotwendig ein Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnis darstellt. Sowohl die Bereiche außerhalb der Erwerbsarbeit, also auch die selbstständige Erwerbsarbeit oder das Crowdworking mussten dabei außen vor bleiben – genau wie übrigens alle Fragen der Finanzierung von selbstbestimmter Zeit oder von Zeiten für Sorgearbeit.

Aber selbst mit diesen Beschränkungen erweist sich die konkrete Durchsetzung von „Wahlarbeitszeit“ noch als kaum realisierbare Aufgabe. Denn die abhängige Erwerbsarbeit ist – wie die ganze Gesellschaft – am Leitbild einer geschlechterstereotyp organisierten Arbeitsteilung organisiert. Die Arbeitgeber*innen bzw. die Unternehmen gehen bei ihrer Arbeitszeitgestaltung meist davon aus, dass die Arbeitskraft der Menschen, die sie beschäftigen, vollständig für die Erwerbsarbeit eingesetzt werden kann; Ausnahmen machen sie allenfalls in geschlechterstereotyper Weise für „Mütter“, dann aber oft nur nach dem Motto „ab Mutterschutz gehört die Mutter für drei Jahre nach Hause zu den Kindern“.

Neue betriebliche Normalitäten erzwingen

Wie lässt sich dies verändern? Kluge Artikel und Texte allein werden dazu wohl nicht ausreichen; Demos und Proklamationen wirken allenfalls sehr langfristig. Aber auch die schlichte Festschreibung eines individuellen Rechts oder Anspruchs auf „Wahlarbeitszeit“ wird in der Praxis wahrscheinlich wenig ändern. Bereits heute stoßen Arbeitnehmer*innen, die von ihren Rechten auf Arbeitszeitreduktion Gebrauch machen, nicht nur auf den Widerstand von Personalabteilungen und Unternehmen, sondern auch auf mangelndes Verständnis von Seiten der Kolleg*innen, häufig auch von Betriebsräten. Dies hat viel damit zu tun, dass einzelne Zeitwünsche in der betrieblichen Realität als Störfaktoren gelten, die von der betrieblichen Normalität abweichen. Es muss also letztlich darum gehen, betriebliche Normalitäten zu verändern – zumindest in Bezug auf die Arbeitszeit. Wenn betriebliche Arbeitszeitkonzepte so gestrickt wären, dass sie für vielfältige Lebenskonstellationen der Beschäftigten passen würden, dann bedürfte es nur noch kleinerer, nicht mehr aber großer Anpassungskonflikte, damit einzelne Arbeitnehmer*innen selbstbestimmtere Zeiten durchsetzen können.

Nach dem djb-Vorschlag für ein Wahlarbeitszeitgesetz müssten Unternehmen dazu verpflichtet werden, betriebliche Wahlarbeitszeitkonzepte zu erarbeiten, die für unterschiedlichste Lebensphasen und Lebenskonzepte der Beschäftigten passen. Solche Konzepte lassen sich aber gesetzlich nicht vorgeben, denn wie Arbeitszeiten betrieblich organisiert werden, hängt davon ab, ob es sich um Einzelhandel, Chemieproduktion, Pflegedienst oder Bauhandwerk handelt. Das Gesetz kann also nur vorgeben, dass Unternehmen ein geschlechtergerechtes betriebliches Arbeitszeitkonzept erarbeiten müssen, das Mindestkriterien genügen muss – ein Gesetz kann aber nicht vorgeben, wie im Einzelnen das Konzept auszusehen hat. Wenn im Verwaltungsrecht so etwas geschieht (also die Verbindung von gewissen Spielräumen mit einem verbindlichen gesetzlichen Rahmen), gilt es als besonders innovativ und heißt „regulierte Selbstregulierung“. Das Arbeitsrecht kennt solche Regulierungsformen allerdings seit jeher. Im Arbeitsrecht ist dabei die Mitbestimmung von Arbeitnehmer*innenvertretungen von besonderer Bedeutung, denn es muss ja gesichert sein, dass das Unternehmen nicht einseitig und alleine über das Arbeitszeitkonzept bestimmen kann.

Konzeption eines Wahlarbeitszeitgesetzes

Unsere Konzeption enthält eine Reihe weiterer Detailvorschläge, mit denen wir versuchen, diese Verfahrensweisen gegen einseitige Herrschaftsmacht des Unternehmens abzusichern. Aber natürlich werden auch diese nichts am Grundproblem ändern: Das Recht stößt notwendig an Grenzen, wenn es darum geht, Beschäftigtenrechte in prekären Arbeitsverhältnissen zu sichern oder zu verbessern. Und um tiefsitzende Geschlechterstereotype zu ändern, dazu bedarf es auch mehr als dieser Veränderungen im Arbeitszeitrecht. Dennoch: Die Erkenntnis, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt, sollte nicht daran hindern, intensiv darüber nachzudenken, wie konkret im Arbeitsrecht tatsächliche Änderungen gemeinsam bewirkt werden könnten!

 

Rehabilitierung der Opfer des § 175 StGB
Frauen* und Arbeit und darüber hinaus