Der Internationale Strafgerichtshof in der Krise?

70 Jahre nach Verkündung des Nürnberger Urteils durch den Internationalen Militärgerichtshof sieht sich der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), die erste permanente Institution zur Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, erheblicher Kritik vornehmlich afrikanischer Staaten ausgesetzt. Während diese Kritik nicht rundheraus und ohne nähere Auseinandersetzung abgelehnt werden sollte, sind die nun angekündigten und eingeleiteten Austritte Schritte in die falsche Richtung. Eine ernsthafte Diskussion um Reformbedarf und Optimierungsmöglichkeiten wird durch den Missbrauch des Vorwurfs von Neokolonialismus und Rassismus als politisches Agitationsmittel erschwert.

Zweieinhalb Austritte

Südafrika, Burundi und Gambia – diese drei afrikanischen Staaten haben offizielle Schritte zum Austritt aus dem IStGH-Statut eingeleitet, wobei jedoch gerade diese Woche der neu gewählte Präsident Gambias erklärt hat, diese Erklärung zeitnah widerrufen zu wollen. Weitere afrikanische Staaten überdenken ihr Verhältnis zum IStGH und auch der Präsident der Philippinen Rodrigo Duterte, derzeit unter scharfer Kritik wegen seines Vorgehens gegen mutmaßlich in Rauschgifthandel oder -konsum involvierte Personen, hat bereits angekündigt, sich der Gerichtsbarkeit des IStGH zu entziehen, sollte die Anklagebehörde (Vor-)Ermittlungen einleiten.

Anhand der Philippinen, insbesondere aber auch Burundis lässt sich verdeutlichen, worin oftmals ein Problem mit der Kritik am IStGH liegt: Staaten, in denen Völkerrechtsverbrechen begangen werden und die bereits in den Fokus der Anklagebehörde geraten sind, versuchen den IStGH zu diskreditieren. Ihnen geht es nicht um die Diskussion notwendiger Reformen, sondern darum, die Verantwortlichen dem Zugriff Den Haags zu entziehen. Hier kann und sollte der IStGH keinesfalls nachgeben. Vielmehr hat er eine Verantwortung gegenüber den Opfern dieser Verbrechen und der Zivilgesellschaft, konsequent gegen die Täter vorzugehen und Straffreiheit für Völkerrechtsverbrechen zu verhindern.

Afrika im Fokus?

Sofern kritisiert wird, dass sich „neun von zehn laufenden Verfahren […] gegen afrikanische Länder richten“, wird oftmals unterschlagen, dass lediglich in zwei der „afrikanischen“ Situationen die Anklagebehörde selbst Ermittlungen eingeleitet hat, während in allen übrigen Fällen entweder eine Überweisung des VN-Sicherheitsrats erfolgte oder – nämlich in fünf Situationen – die Staaten selbst die Verfahren an den IStGH überwiesen hatten. Dem Gerichtshof vorzuwerfen, er fokussiere sich einseitig auf afrikanische Staaten und diene als Instrument postkolonialer Machtausübung, erscheint daher wenig fundiert.

Wenn insbesondere das Verfahren gegen den sudanesischen Präsidenten al-Bashir kritisiert wird (siehe die Kritik Südafrikas, die auf die Problematik der Immunität von Staatsoberhäuptern Bezug nimmt), trifft diese Kritik in erster Linie den VN-Sicherheitsrat, der den Gerichtshof mit der Strafverfolgung betraut und sich im weiteren Verlauf wenig kooperativ gezeigt hat. Dieser Umstand wurde nicht zuletzt durch die Chefanklägerin Fatou Bensouda kritisiert. Über die Rolle und Zusammensetzung des VN-Sicherheitsrats lässt sich kontrovers diskutieren; dies ist jedoch eine Frage von allgemeiner völkerrechtlicher Relevanz und kein spezifisches Problem des IStGH.

Es stellt sich zudem die Frage: gibt es derzeit eine glaubwürdige Alternative? Der IStGH verfolgt die „schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“ (Präambel des IStGH-Statuts, Abs. 4 und 9). Die Staaten haben es aufgrund des sog. Komplementaritätsprinzips selbst in der Hand, durch die strafrechtliche Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen auf nationaler Ebene ein Eingreifen des IStGH zu vermeiden. Dieser wird nur tätig, wenn kein Staat selbst Ermittlungen führt oder wenn der ermittelnde Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Verbrechen ernsthaft zu verfolgen. Daraus folgt, dass in Situationen, in denen der IStGH ermittelt, die Alternative zu seinem Eingreifen die Straflosigkeit der Verantwortlichen wäre.

Schließlich darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass entgegen aller Befürchtungen (Stichwort: Domino-Effekt) eine Vielzahl afrikanischer Staaten ausdrücklich ihre Unterstützung für den Gerichtshof und seine Arbeit bekundet und sich somit klar zu diesem bekannt hat.

Rassismus als Problem des IStGH?

Der Vorwurf des gambischen Informationsministers, der IStGH sei ein „internationales Strafgericht weißer Kaukasier zur Verfolgung und Demütigung von People of Color“ ist angesichts der tatsächlichen Situation mindestens schief. Die Chefanklägerin, zuständig für Auswahl und Durchführung von Ermittlungen, ist ihrerseits gambische Staatsbürgerin und der Gerichtshof setzt sich aus Richter_innen und Mitarbeiter_innen unterschiedlichster – insbesondere auch afrikanischer – Staaten zusammen. Hinzu kommt ein Gesichtspunkt, der gelegentlich übersehen wird: gedemütigt werden durch Völkerrechtsverbrechen in erster Linie die Opfer der Taten und ihre Angehörigen. Diese sind regelmäßig selbst aus der Region und im Falle afrikanischer Staaten daher oftmals selbst People of Color. Durch die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen erkennt die internationale Gemeinschaft das Leid der Opfer an, missbilligt das gegen sie begangene Unrecht und trägt damit zum Ausgleich der ihnen zugefügten Demütigung bei.

Selektivität als Problem

Ein wiederkehrendes Problem, für das bis heute keine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde, stellt schließlich die Selektivität von Völkerstrafverfahren dar. Die USA, Russland und China – drei Vetomächte des VN-Sicherheitsrates – sind nicht Mitglieder des IStGH-Statuts und unterliegen daher allenfalls indirekt der Gerichtsbarkeit des IStGH. Zudem wird kritisiert, dass selbst diejenigen westlichen Staaten, für die der IStGH zuständig wäre, trotz hinreichender Anhaltspunkte für die Begehung von Völkerrechtsverbrechen durch ihre Staatsangehörigen regelmäßig nicht mit Ermittlungen rechnen müssen. Dass dies nicht dem Idealzustand entspricht, bedarf – obwohl der IStGH auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages agiert und daher auf den Beitritt der Staaten angewiesen ist – keiner weiteren Erörterung. Jedoch hat auch der IStGH die Kritik offenbar ernst genommen. So wurden in den letzten Jahren (Vor-)Ermittlungen in Situationen aufgenommen, die Staatsbürger_innen unter anderem aus dem Vereinigten Königreich, den USA und Russland betreffen. Dieser Trend scheint sich fortzusetzen. Es bleibt freilich abzuwarten, wie sich die betroffenen Staaten dazu verhalten werden.

Fazit

Der IStGH verdient auch zukünftig die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Dabei wird er sich auch weiterhin mit Kritik an seiner Arbeit zu befassen haben – jedoch ist nicht jede Kritik auch überzeugend. Wo Reformbedarf besteht, sollte unter Einbeziehung aller – auch der kritischen – Vertragsstaaten nach konstruktiven Lösungen gesucht werden, während Austritte, insbesondere in Krisensituationen, Schritte in die falsche Richtung sind.

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