Frauen sind mitgemeint…?

Am 13. März 2018 hat der VI. Senat des BGH die Entscheidung getroffen, dass die Verwendung des generischen Maskulinums in Formularen einer Sparkasse keine Schadensersatzansprüche nach § 823 BGB oder dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) begründe. Die Entscheidung (Az. VI ZR 143/17; Pressemitteilung) zeigt, dass das Zivilrecht an dieser Stelle blind ist für Formen struktureller Benachteiligung von Frauen und dass es ausgerechnet der so sprachbewussten und sprachdependenten Juristerei eklatant an Bewusstsein für die Wirkung von Sprache mangelt.

Eine Kämpferin von 80 Jahren

Die Klägerin Marlies Krämer ist schon lange eine Kämpferin für die Sichtbarkeit und Wertschätzung von Frauen in der deutschen Sprache. Sie hat erstritten, dass Frauen auf Pässen nicht nur als „Inhaber“ mitgemeint sind, sondern als „Inhaberin“ bezeichnet werden und als solche unterschreiben dürfen. Und sie hat erwirkt, dass nicht mehr ausschließlich Frauennamen die mit schlechtem Wetter verbundenen Tiefdruckgebiete benennen, sondern Wetterhochs und Wettertiefs abwechselnd mit Frauen- und Männernamen bezeichnet werden.

Für den nächsten Kampf hat sich Frau Krämer nun die Praxis der Sparkasse Saarbrücken vorgeknöpft, in ihren Formularen ausschließlich die männliche Form zu verwenden – eine Praxis, die in der Geschäftswelt weitverbreitet ist und deswegen weit über den Anlassfall hinaus Relevanz entfaltet. Es geht um nichts weniger als die diskriminierende Wirkung des „generischen Maskulinum“ – Frauen sind mitgemeint. Oder eben doch nicht.

Das erstinstanzlich urteilende AG Saarbrücken (Az. 36 C 300/15) hatte die Klage sogleich abgewiesen. Zwar binde § 28 des Saarländischen Gleichstellungsgesetzes an sich auch die Sparkasse Saarbrücken. Danach haben saarländische Dienststellen, mithin auch die Sparkasse Saarbrücken, „bei der Gestaltung von Vordrucken … dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Frauen und Männern dadurch Rechnung zu tragen, dass geschlechtsneutrale Bezeichnungen gewählt werden, hilfsweise die weibliche und die männliche Form verwendet wird“. Diese Norm sei allerdings nicht drittschützend, weil die Regelung keinen „konkretisierbaren Personenkreis“ schütze (AG Saarbrücken, Rn. 22), weshalb sich Frau Krämer nicht auf sie berufen könne. Einheitliche Vordrucke und Formulare seien zudem nicht geeignet, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG zu verletzen, denn die persönliche Entfaltung der Klägerin im Kontakt zur ihrer Umgebung werde nicht beeinträchtigt (AG Saarbrücken, Rn. 28). Hilfsweise handele es sich allenfalls um eine geringfügige Beeinträchtigung, die gerechtfertigt werden könne wegen des durch geschlechtergerechte Sprache zu befürchtenden Haftungsrisikos der Sparkasse, wenn sie von dem seitens des Sparkassenverlages formulierten Wortlaut abweiche. Zudem habe die „Übersichtlichkeit und Transparenz in der sprachlichen Gestaltung der Vordrucke und Formulare“ für die Sparkasse eine besondere Bedeutung“. Außerdem koste eine sprachliche Anpassung viel (AG Saarbrücken, Rn. 32).

Das LG Saarbrücken (Az. 1 S 4/16) schloss sich diesen Ausführungen des AG im Wesentlichen an, fügte jedoch sehr bemerkenswerte rechtslinguistische Überlegungen hinzu (Rn. 38):

„Es entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch, dass beispielsweise eine männliche Bezeichnung verwandt werden kann, ohne allein auf männliche Arbeitnehmer hinzuweisen, ebenso wie beispielsweise § 611b BGB nur vom Arbeitnehmer, nicht aber auch von der Arbeitnehmerin sprach. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass bereits seit 2.000 Jahren schon im allgemeinen Sprachgebrauch bei Personengruppen beiderlei Geschlechts das Maskulinum als Kollektivform verwendet und es sich insoweit um nichts weiter als die historisch gewachsene Übereinkunft über die Regeln der Kommunikation handelt. Auch die juristische Fachsprache verwendet traditionell das Maskulinum geschlechtsneutral als Kollektivform.“

Zum Beleg führt das LG an (Rn. 42):

„Auch von Frauen selbst wird das generische Maskulinum zum Zwecke der besseren Lesbarkeit verwendet (s. bspw. Annemarie Aumann, Melanie Hack, Ph.D., Wahlarbeitszeit und Arbeitszeitflexibilisierung Modelle einer selbstbestimmten Erwerbsbiografie in Deutschland und Norwegen, ZESAR 2016, 266-276 [Fußnote 6], über juris).“

Geschlechtergerechte Formulierung ginge „zulasten der Lesbarkeit und Verständlichkeit“ (Rn. 42).

Den Argumenten der Instanzgerichte hat sich nunmehr der BGH ausweislich der Pressemitteilung angeschlossen, wobei der VI. Senat großzügig offenlässt, ob die Vorschrift des § 28 LGG-SL überhaupt verfassungsgemäß sei. Hui!

Strukturelle Benachteiligung als blinder Fleck des Antidiskriminierungsrechts

Der Schutz vor Diskriminierung wird in Deutschland seit der Einführung des AGG 2006 als Problem von Einzelpersonen maßgeblich dem Zivilrecht überantwortet. Von Diskriminierung betroffene Personen sollen Schadensersatz einklagen, und zwar in den Formen des überkommenen Zivilprozesses. Die theoretische Grundlegung und das konsequente Durchdenken der immer noch recht neuen dogmatischen Werkzeuge des Antidiskriminierungsrechts stehen erst am Anfang (so wichtig deswegen Grünberger). Urteile wie jenes des BGH sind vor diesem Hintergrund erwartbar und müssen differenziert analysiert werden, gerade um künftig besseren Diskriminierungsschutz zu gewährleisten.

Die wesentliche Frage des aktuellen Falles ist, ob die „bloße“ Verwendung des generischen Maskulinums eine rechtlich relevante Diskriminierung darstellt oder nicht. Die Zivilgerichte halten diese Idee für abwegig, was sich darin manifestiert, dass sie einerseits § 28 LGG-SL keine drittschützende Wirkung beimessen, andererseits das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Frau Krämer als nicht verletzt ansehen, weil entweder schon gar kein Eingriff vorliegt oder ein – geringfügiger – Eingriff jedenfalls durch entgegenstehende Interessen der Sparkasse gerechtfertigt wäre.

In der individualistischen Perspektive des Zivilprozesses gerät die strukturelle Dimension von Diskriminierung aus dem Blick. Diskriminierung erscheint allein als Problem diskriminierenden Verhaltens einer Person gegen eine andere. Wenn jedoch gesellschaftliche Strukturen insgesamt und in all ihren Dimensionen so eingerichtet sind, dass sie eine bestimmte Personengruppe konsequent in einer bevorzugten Position gegenüber einer anderen halten, dann ist dies eben nicht nur das Ergebnis intentionalen Handelns einzelner Personen, sondern das Ergebnis jahrtausendelanger gesellschaftlicher Entwicklungen. Gerade weil sich Frauen schon seit mindestens 2.000 Jahren gesellschaftlich in einer benachteiligten Position gegenüber Männern befinden, liegt eine Situation struktureller Diskriminierung vor.

Es geht um also um Ungleichheitsstrukturen und nicht (nur) um individuelle Zurücksetzung. Deswegen ist der individualistische Weg allein über das Allgemeine Persönlichkeitsrecht kaum zielführend. Es geht um das relationale Recht, die eigene Persönlichkeit in gleicher Weise wie andere Personen entfalten zu dürfen. Erst die Vergleichsdimension offenbart, dass Frauen in ihrem Sosein weniger anerkannt werden als Männer, wenn ausschließlich die männliche Sprachform verwendet wird.

Aus der Logik des überkommenen Zivilrechts ist es dennoch verständlich, dass den Einzelnen die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht in ihrer Gänze zum Vorwurf gemacht werden können oder nur sollten. Schließlich steht es gar nicht in der Macht einzelner Unternehmen oder Privatpersonen, diese gesamtgesellschaftlichen Strukturen zu verändern. Es ist vielmehr die Aufgabe des Staates, gegen solche diskriminierenden Strukturen vorzugehen. Das bringt Art. 3 Abs.2 S. 2 GG ganz deutlich zum Ausdruck.

Sparkassen allerdings sind nun gerade keine privaten Unternehmen, sondern sie sind Teil des Staates und deswegen auch an § 28 LGG-SL als Konkretisierung des Gleichstellungsgebotes aus Art. 3 Abs.2 S. 2 GG gebunden. Unzweifelhaft und von den Zivilgerichten konsentiert dient § 28 LGG-SL der tatsächlichen Herstellung von Gleichberechtigung und soll deswegen gerade der benachteiligten Personengruppe der Frauen zugutekommen. Schon deswegen vermag die pauschale Ablehnung des drittschützenden Charakters von § 28 LGG-SL nicht völlig zu überzeugen. Die Zivilgerichte halten die Gruppe „aller Frauen“ für zu unbestimmt, als dass § 28 LGG-SL drittschützend sein könnte. Es werden zu viele Personen („alle Frauen“) geschützt, als dass gleichzeitig eine einzelne Person aus dieser Gruppe (Frau Krämer) geschützt sein könnte. Anders betrachtet: Wenn eine Diskriminierungslage so alltäglich und allumfassend ist, dass alle Frauen betroffen sind, ist am Ende keine Frau betroffen? Mir leuchtet das nicht ein.

„Words are deeds.“

In den zivilgerichtlichen Urteilen sind alle klassisch gegen geschlechtergerechte Sprache vorgebrachten Argumente beisammen:

(1) „So haben wir das seit 2.000 Jahren schon immer gemacht!“

(2) „Wo kommen wir denn da hin!“ („Lesbarkeit und Verständlichkeit“)

(3) „Es gibt sogar Frauen, die das generische Maskulinum verwenden!“

Dazu treffend Wolfgang Janisch: „Wer die Geschäftsbedingungen der Sparkasse zum, sagen wir, Pfandrecht an Rentenanteilsscheinen, zum Inkasso im Einzugsgeschäft oder zum Nachsicherungsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen begriffen hat, der dürfte nicht an der doppelten Nennung von Darlehensnehmerinnen und Darlehensnehmern scheitern.“

Nicht nur der linguistic turn in der Philosophie seit Wittgenstein hat verdeutlicht, welche Macht Sprache über und für unser Denken hat. Psycholinguistische Studien haben wieder und wieder aufgezeigt, dass es einen großen Unterschied macht, ob Frauen lediglich „mitgemeint“ sind, indem das generische Maskulinum verwendet wird, oder ob Frauen und Männer explizit angesprochen werden (Überblick über psycholinguistische Studien je m.w.N. hier und hier). Es reicht auch für die rechtliche Argumentation deswegen nicht (mehr), einfach darauf zu verweisen, dass Frauen vom generischen Maskulinum eben „mitgemeint“ seien. Mit Blick auf die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung, die Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG allen staatlichen Organen aufgibt, auch Sparkassen und Zivilgerichten (Art. 1 Abs. 3 GG), ist die Verwendung des generischen Maskulinum daran zu messen, ob sie dem Verfassungsauftrag nicht gar entgegenwirkt.

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass der Deutsche Sparkassen und Giroverband der Forderung nach geschlechtergerechter Sprache ausgerechnet das Urteil des BVerfG zur Dritten Option vom vergangenen Herbst entgegenhält. Schließlich, so die Argumentation, würde es ja vollends unübersichtlich, wenn auch Personen zu berücksichtigen seien, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlten oder noch ganz andere geschlechtliche Identitäten hätten. Höchst erstaunlich ist die Konsequenz, die aus der Entscheidung zur Anerkennung inter_geschlechtlicher Personen gezogen wird: Alles soll beim Alten bleiben – nur die männliche Form also soll verwendet werden.

Überzeugender und konsequenter ist demgegenüber, sprachlicher Vergeschlechtlichung aller Art entgegenzuwirken und, wo möglich, neutrale Formulierungen zu finden. Das LG Saarbrücken etwa schreibt selbst von der „kontoinhabenden Person“ (Rn. 42), das BVerfG im Urteil zur Dritten Option von der „beschwerdeführenden Person“. Das funktioniert doch eigentlich ganz prima.

Der Beitrag ist zuerst auf dem Verfassungsblog am 14. März 2018 erschienen.

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