Intersektionali – was?

„Ain‘t I a woman?” – lange Zeit wurde dieser Satz im vorherrschend weißen Feminismus benutzt, ohne seinen Kontext hervorzuheben: die Geschichte schwarzer Frauen. Schon 1851 machte Sojourner Truth damit auf ihre besondere Diskriminierungserfahrung als schwarze Frau und Sklavin aufmerksam, die sich sowohl von Rassismus gegenüber schwarzen Männern als auch von der Unterdrückung weißer Frauen unterscheidet. Mehr als hundert Jahre später gab die Juristin und Genderforscherin Kimberlé Crenshaw 1989 dem Phänomen einen Namen: Intersektionalität.

Diese Theorie bildete die Grundlage für 22 Studierende aus Chicago und Berlin in eine kritische Auseinandersetzung mit nationalem, inter- und supranationalem Recht zu treten, mit einem besonderen Blick auf das Asyl- und Aufenthaltsrecht. Den Rahmen bot die interdisziplinäre Summer School „Law & Critical Social Justice“. Sie wurde im Juli 2017 bereits zum dritten Mal von der DePaul University Chicago in Zusammenarbeit mit der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte und dem Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien veranstaltet.

Von Mehrfachdiskriminierung zu Intersektionalität

Die Bewertung einer Handlung oder Aussage als diskriminierend wird anhand von (z. T. zugeschriebener) Kategorien, wie „Rasse“, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Alter, sexuelle Identität oder Behinderung vorgenommen, (vgl. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) oder § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)). Dabei werden die Kategorien meist isoliert und exklusiv betrachtet. Wird eine Person aufgrund mehrerer Eigenschaften benachteiligt, so wird von Mehrfach- oder „multipler“ Diskriminierung gesprochen, zum Beispiel in § 4 AGG.

Crenshaw hat diese Betrachtung als „single-axis framework“ kritisiert. Sie werde der multidimensionalen Erfahrung einer schwarzen Frau nicht gerecht, weil sie rassistische oder geschlechtsspezifische Diskriminierung einseitig durch die Erfahrung sonst auch privilegierter Gruppen (z.B. schwarzer Mann, weiße Frau) bestimmt. Dabei wiederholen und verfestigen sich im Kampf gegen den Sexismus rassistische Muster und im Kampf gegen den Rassismus sexistische Muster, eine doppelte Diskriminierung für die Betroffenen.

Nach dem Vorbild des Combahee River Collective wählte Crenshaw das Bild einer „Intersection“ (Kreuzung), an der sich verschiedene Achsen von Macht- und Diskriminierungskategorien überschneiden. Dabei ist es essentiell, dass die Unterschiede innerhalb einer Gruppe wahrgenommen werden. Nur so kann wirksam gegen alle Formen der Benachteiligung und Unterdrückung vorgegangen werden. In den Worten der Aktivistin Audre Lorde, die sich selbst als „black lesbian feminist mother poet warrior“ bezeichnete: “It is not our differences that divide us. It is our inability to recognize, accept, and celebrate those differences.”

Intersektionalität im deutschen Kontext

Intersektionalität spielt auch im rechtlichen Kontext eine Rolle. Der Schwerpunkt der Summer School lag in der Betrachtung der Bekämpfung von Diskriminierung im deutschen Recht, welches als solches nicht mehr ohne EU- und internationales Recht bewertet werden kann.

Erschreckend vor allem für die amerikanischen Studierenden war der institutionelle Rassismus in Deutschland. Sichtbar gemacht wurde dieser zum einen im Asyl- und Aufenthaltsrecht, in der Praxis des Racial Profiling und nicht zuletzt durch die katastrophale (Nicht-) Aufklärung der behördlichen Verstrickungen in dem NSU-Fall. Die Bedeutung der Intersektionalitätstheorie konnten wir konkret an zwei Beispielen festmachen: Zum einen der fehlende Schutz von LGBTIQ*-Personen im Asylverfahren und zum anderen die verdachtsunabhängigen Kontrolle durch die Berliner Polizei von Personen an sog. „Gefährlichen Orten“.  Bei letzterem Beispiel wird die Intersektionalität erst deutlich, wenn das „Täterprofil“ der Polizei bekannt ist: vermeintlich „nicht deutsch“, männlich, jung oder wenig Geld im Portemonnaie (Klasse).

Stark diskutiert wurden auch die Formulierungen in den Gesetzestexten, speziell im GG oder AGG. Besonders beschäftigten wir uns mit der Frage, wie die Verwendung des Rechtsbegriffes „Rasse“ in Gesetzen und Urteilen möglicherweise die Antidiskriminierungsarbeit in Deutschland erschwert. Als eine der „wichtigsten“ Diskriminierungskategorien bildet deren Bewertung den Grundstein für eine Öffnung des rechtlichen Diskurses in Richtung Intersektionalität. Der Begriff wird in Deutschland und auch in Europa aufgrund seiner implizierten Vorstellung unterschiedlicher menschlicher „Rassen“ von Menschenrechtsorganisationen und Selbstorganisationen wie der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland stark kritisiert. In den USA wird „race“ jedoch als stärker soziologisches Konstrukt anerkannt. Deshalb ist es dort teils einfacher, rassistische Diskriminierung vor Gericht gelten zu machen, wohingegen deutsche Richter*innen eher zurückhaltend sind, eine solche zu benennen und anzuerkennen. Eine Änderung des Gesetzestextes in „rassistische Diskriminierung“ könnte hier hilfreich sein.

Eines der wenigen Urteile, das Hoffnung für die Anerkennung von intersektioneller Diskriminierung gibt, ist der Fall B.S. vs. Spanien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR) aus dem Jahr 2012. Die Klägerin, eine Nigerianerin mit Aufenthaltsrecht in Spanien, war legal als Sexarbeiterin in Spanien tätig. Während ihrer Arbeit wurde sie gezielt als Nichtweiße von der Polizei kontrolliert (racial profiling), rassistisch beleidigt und körperlich misshandelt. Die darauf folgenden Ermittlungen wurden manipuliert. Der Gerichtshof sprach der Klägerin als Migrantin und Sexarbeiterin eine „besondere Verletzlichkeit“ zu. Außerdem wurde in dem Urteil betont, dass es essentiell ist die verschiedenen Diskriminierungskategorien zu betrachten und sie in Kontext zueinander zu stellen. Da die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Deutschland den Rang einfachen Rechts einnimmt, kann dieses Urteil kann auch hierzulande im Wege der menschenrechtskonformen Auslegung herangezogen werden.

Los geht’s in die Praxis

Neben der theoretischen Einbettung lernten wir drei Berliner NGOs kennen, die gegen verschiedene Formen der Diskriminierung kämpfen:

  • Reach Out Berlin, eine Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin;
  • Wearebornfree ! Empowerment Radio, ein Radio von Refugees und Freunden, das auf Missstände der Asylpolitik in Europa hinweisen und zum Empowerment beitragen soll;
  • und das neu gegründete Center for Intersectional Justice, das Forschung und Lobby-Arbeit für eine intersektionale Herangehensweise gegen Antidiskriminierung betreibt.

Die gemeinsamen zwei Wochen vergingen dank spannender Inputs in Form von Vorträgen, Besuchen der NGOs vor Ort und nicht zuletzt bereichernder Gespräche unter uns Studierenden wie im Flug. Zum Abschluss formulierte Prof. Sumi Cho noch einmal passend das Ziel für interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit gegen Diskriminierung: „It’s not about pointing out the contrasts, but to work with the connections we have.“

BLOGPAUSE BIS 19.10.2017
Die Haftung der Zertifizierer – Überlegungen zur Übertragbarkeit des EuGH-Urteils zu mangelhaften Brustimplantaten