Lesbisch, schwul, wiederverheiratet – (weiterhin) ein Problem für die katholische Kirche?

“Eine Änderung der Praxis der katholischen Kirche, Wiederverheirateten und Homosexuellen zu kündigen, ist absolut überfällig. Das ist ganz klar.” Diese Aussage machte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) kürzlich in einem Zeitungsinterview. Die katholische Kirche beschäftigt 650.000 Mitarbeiter*innen und ist damit eine der größten arbeitgebenden Institutionen in Deutschland. Über Arbeitnehmer*innen, die zum zweiten Mal zivilrechtlich heiraten oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründen, hing bisher das Damoklesschwert des Verlustes ihres Arbeitsplatzes.

In der ersten Hälfte dieses Jahres schien Bewegung in den arbeitsrechtlichen Umgang mit den betroffenen Gruppen zu kommen: Die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) verabschiedete am 27. April 2015 eine neue Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (im Folgenden: Grundordnung), in der festgelegt wurde, dass eine Wiederheirat oder die Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht mehr automatisch zur Kündigung führen. Doch stellt die überarbeitete Version des erstmals im Jahr 1993 erlassenen Regelwerkes wirklich eine Verbesserung für die betroffenen Beschäftigten dar?

Grundordnung des kirchlichen Dienstes als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts

Die Tatsache, dass die Kirchen ein eigenes Arbeitsrecht festlegen dürfen, ist Ausfluss des in Art. 140 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung garantierten Selbstbestimmungsrechts. Eine einfachgesetzliche Ausprägung findet dieses verfassungsrechtliche Privileg der Kirchen in § 9 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Demnach dürfen die  Kirchen beispielsweise ihre Beschäftigten aufgrund der Religionszugehörigkeit unterschiedlich behandeln und von ihnen “loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses” verlangen.

Auch die Grundordnung, die in ihren zehn Artikeln das kollektive und individuelle Arbeitsrecht der katholischen Kirche regelt, beruft sich auf die genannte verfassungsrechtliche Grundlage. Trotz des Widerstands von drei Bischöfen wird sie ab dem 1. Januar 2016 in allen 27 Bistümern Deutschlands Anwendung finden. Insbesondere definiert sie die sogenannten Loyalitätsobliegenheiten, denen die Beschäftigten im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses unterworfen sind.

Rechtsprechung: absolute Kündigungsgründe unzulässig

Kündigungen, die die Kirche mit einem Verstoß gegen die Grundordnung begründete, waren wiederholt Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung:

So entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2010, dass die Kündigung eines Kirchenmusikers wegen einer außerehelichen Beziehung einen Verstoß gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung der Privatsphäre) darstellt. Das Gericht machte deutlich, dass es zwischen dem Loyalitätsverstoß und der Kündigung keinen Wenn-dann-Zusammenhang geben darf, sondern vielmehr eine Einzelfallabwägung hinsichtlich der widerstreitenden Interessen des Arbeitnehmenden und der Kirche als Arbeitgeberin vorzunehmen ist.

Im Fall der Kündigung eines Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus stellte das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr klar, dass – obwohl im Rahmen der Abwägung den Belangen der Kirche ein besonders Gewicht zugemessen werden muss –  deren Interessen nicht prinzipiell überwiegen. Das staatliche Arbeitsrecht, das auch auf kirchliche Arbeitsverträge grundsätzlich Anwendung findet, kenne keine “absoluten Kündigungsgründe”.

Wiederheirat und eingetragene Lebenspartnerschaft weiterhin als schwerwiegender Loyalitätsverstoß

Die Neuregelung des kirchlichen Arbeitsrechts – dies machte die Deutsche Bischofskonferenz selbst klar – stellt eine Reaktion auf die “vielfältigen Veränderungen in der Rechtsprechung, Gesetzgebung und Gesellschaft” dar.

Grundsätzlich sehen die Neuregelungen weiterhin vor, dass es bei einem „schwerwiegenden Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen“ zu einer Kündigung kommen kann.  Einen solchen Verstoß stellen unter anderem auch der “Abschluss einer kirchenrechtlich unzulässigen Zivilehe”, also einer Wiederheirat, oder die Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft dar.

Schon zuvor war die Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz ebenso wie die Eingehung einer Zweitehe nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche als kirchenspezifischer Kündigungsgrund angesehen worden (vergleiche Art. 5 lit. a) Grundordnung a.F.).

Kein Kündigungsautomatismus, aber auch keine Rechtssicherheit

Eine Lebenspartnerschaft oder eine Zweitehe allein führt fortan jedoch nicht mehr automatisch zu einer Kündigung.  Vielmehr müssen zusätzlich besondere Umstände vorliegen: Der Loyalitätsverstoß muss geeignet sein, ein “erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen”.

Diese Regelung ist ein zweischneidiges Schwert. Der Wegfall des Kündigungsautomatismus ist nach einer langjährigen entgegenstehenden Praxis durchaus als Fortschritt zu werten. Zugleich schaffen die neu eingeführten unbestimmten Rechtsbegriffe eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Beschäftigten. Was ist unter einem “erheblichen Ärgernis” zu verstehen? Wann ist die “Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigt”?
Der Lesben- und Schwulenverband empfiehlt angesichts der Unbestimmtheit der Rechtsbegriffe Menschen, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet haben, diese gegenüber der Kirche “weiter geheim zu halten und bei den Standes- und Meldeämtern Auskunftssperren eintragen zu lassen”.  Entsprechendes dürfte für Wiederverheiratete gelten.

Zudem: Für Arbeitnehmer*innen in Positionen, in denen die Verkündung der Glaubenslehre eine besondere Rolle spielt, gelten (weiterhin) erhöhte Loyalitätsanforderungen. Zunächst wird bei diesen gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. c) der Grundordnung unwiderlegbar vermutet, dass die Wiederheirat oder die Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft geeignet ist, ein “erhebliches Ärgernis für die Kirche” darzustellen. In diesen Fällen ist eine Weiterbeschäftigung in der Regel ausgeschlossen.

Die Entscheidung, wer genau unter den Anwendungsbereich dieser Regelung fällt, bleibt dem Ortsbischofs überlassen. Zwar dürften an Religionslehrer*innen und Pastoralreferent*innen weiterhin erhöhte Loyalitätsanforderungen gestellt werden; die Frage, ob beispielsweise auch Leiter*innen von kirchlichen Kindertagesstätten zu den sogenannten “verkündungsnahen” Berufen zu zählen sind, ist jedoch weit weniger eindeutig zu beantworten. Die Tür für Willkürentscheidungen ist mithin weit geöffnet.

Diskriminierung unter dem Schutzmantel des Selbstbestimmungsrechts

Zusammenfassend ist es zu bedauern, dass die katholische Kirche mit der bis zum 1. Januar nächsten Jahres vollzogenen Umsetzung der Grundordnung gerade nicht die von ihr selbst postulierte Anpassung an Gesellschaft und Gesetzgebung vornimmt und – gestützt auf die Unbestimmtheit der Regelungen der Grundordnung und Abstufung der Loyalitätsanforderungen an einzelne Personengruppen – weiterhin viele Mitarbeiter*innen auf Grund ihrer persönlichen Lebensumstände kündigen darf. Zwar ist es grundsätzlich zulässig, dass Tendenzbetriebe wie Gewerkschaften, Parteien und Rundfunkanstalten genauso wie die Kirche besondere Loyalitätsanforderungen an die Beschäftigten stellen. Aber es ist wohl nur die katholische Kirche, die solch rigide Vorstellungen an die (private) Lebensführung adressiert und damit auch in die Grundrechte der Mitarbeitenden, wie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, eingreift.

Zwar kann die katholische Kirche momentan noch unter dem Schutzmantel des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts diskriminieren, jedoch erscheint dies als ein im Gegensatz zum gesellschaftlichen Pluralismus stehender Anachronismus, dessen verfassungsrechtliche Legitimation immer fragwürdiger wird.
Auch das Argument “Wer bei den Kirchen arbeitet, weiß vorher, welche Erwartungen gestellt werden” wirkt in Anbetracht der beherrschenden Stellung der Kirche im Bereich der sozialen Berufe geradezu höhnisch. Betroffene finden in diesem Arbeitssektor kaum Alternativen zu einer kirchlichen Anstellung vor.

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