Menschenrechtsverletzungen im Namen der EU: Frontex vor dem EuGH

Immer wieder ist die EU-Agentur Frontex in illegale Pushbacks verwickelt und verstößt dabei gegen Grund- und Menschenrechte. Für Betroffene ist es unglaublich schwer gegen Frontex vor Gericht zu ziehen. Genau das hat Omar B. aber im Oktober 2021 getan. Es ist die erste Klage dieser Art und womöglich die letzte Chance für die EU, ihren gemeinsamen Werten gerecht zu werden.

Begegnung mit Frontex

Omar B. flieht 2016 mit seiner Frau und den gemeinsamen vier Kindern im Alter von ein bis sieben Jahren vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Griechenland. In der Türkei steigen sie nachts in ein Boot, das sie nach Europa bringt. Sie beantragen Asyl in Leros, Griechenland. Endlich in Sicherheit – denkt die Familie. Doch statt einer Einleitung des Asylverfahrens, folgt ein europäisches Täuschungsmanöver. Omar B. selbst spricht von einer Entführung.

Die griechische Polizei teilt der Familie mit, dass sie mit einem Flugzeug nach Athen verbracht werden sollen. Bei einem Zwischenstopp auf Kos müssen sie in ein anderes Flugzeug umsteigen. Mit an Bord sind zwei griechische Beamt*innen und 42 Frontex-Bedienstete. Während des Fluges werden die Kinder von ihren Eltern getrennt und es wird ihnen verboten miteinander zu sprechen. Als sie landen, sieht Omar B. als erstes die türkische Flagge am Flughafen. Sie wurden belogen. Das Flugzeug landet nicht in Athen, sondern in der Türkei.

Die Familie flieht aus Angst vor einer Abschiebung nach Syrien weiter in den Nordirak. Von dort kontaktiert Omar B. die Anwaltskanzlei Prakken d´Oliveira. Mit deren Unterstützung klagt die Familie am 20. Oktober 2021 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf Schadensersatz gegen Frontex.

Was ist Frontex?

Frontex ist eine europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Sie wurde 2004 mit dem Ziel gegründet, die Mitgliedsstaaten beim Schutz der EU-Außengrenzen zu unterstützen. Seit der Gründung ist die Agentur stark gewachsen. Bis 2027 soll Frontex über ein Milliardenbudget aus dem EU-Haushalt und eine eigene Einsatztruppe von 10.000 Grenz- und Küstenschützer*innen verfügen.

Auch Deutschland ist finanziell und logistisch an den Aktionen der Agentur beteiligt. Die Bundespolizei stellt Frontex nicht nur Mitarbeiter*innen, sondern auch technische Einsatzmittel zur Verfügung, wie z.B. Polizeihubschrauber oder Diensthunde.

Illegale Push-Backs: Verletzung von Grund- und Menschenrechten durch die EU

Die EU-Agentur Frontex steht seit mehreren Jahren massiv in der Kritik. Menschenrechtsorganisationen haben vermehrt über die gewaltsamen Methoden bei Frontex-Einsätzen berichtet, die gegen Grundrechte der betroffenen Personen verstoßen. Außerdem wurde die Beteiligung von Frontex an illegalen Pushbacks durch verschiedene Rechercheteams offengelegt.

Ein sog. Pushback liegt vor, wenn Menschen ohne abgeschlossenes Asylverfahren abgeschoben werden. Auch Deutschland ist in solche Pushbacks verwickelt. Durch die Unterstützung mit Personal und Ausrüstung spielt Deutschland eine wesentliche Rolle in der Organisationsstruktur von Frontex. Interne Unterlagen bezeugen auch konkret, dass deutsche Bundespolizist*innen bei der Aussetzung von Geflüchteten im ägäischen Meer halfen.

Diese Praxis ist nicht nur unmoralisch, sondern auch rechtswidrig. Sie verstößt gegen das völkerrechtliche Prinzip der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) iSv. Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Demnach hat jede Person das Recht in einem anderen Staat Zuflucht vor Menschenrechtsverletzungen zu finden, indem sie Asyl beantragen kann. Erst nach einem gescheiterten Asylverfahren dürfen Geflüchtete abgeschoben werden.

Das Prinzip der Nichtzurückweisung ist auch in Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert. Da die EU weder die GFK noch die EMRK unterzeichnet hat, ist Frontex selbst durch diese Verträge allerdings nicht gebunden. Das Prinzip der Nicht-Zurückweisung ist allerdings auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und verpflichtet so die EU, einschließlich der Agenturen, als Völkerrechtssubjekt zu dessen Einhaltung. Außerdem ist Frontex als Einrichtung der europäischen Union gem. Art. 51 der Grundrechtecharta der Union (GRCh) an die europäischen Grundrechte gebunden. Über die Verweisung in Art. 18 GRCh auf die GFK und durch Art. 4 iVm. Art. 52 Abs. 3 GRCh, ist das Prinzip der Nicht-Zurückweisung auch in der GRCh festgehalten.

Und dennoch wurde Omars Familie getäuscht und ohne Asylverfahren in die Türkei rückgeführt.

Wer kontrolliert Frontex?

Für Opfer von Rechtsverletzungen durch Frontex ist es schwer, die Agentur vor Gericht zu bringen. Gegen Handlungen eines Beamten aus den Mitgliedsstaaten im Rahmen einer Frontex-Aktion kann die betroffene Person vor den nationalen Gerichten klagen und letztendlich auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen. Da die EU selbst die EMRK nicht unterzeichnet hat, bleibt der Weg zum EGMR gegen Frontex als Agentur der EU allerdings versperrt.

Als Betroffener von Grund- und Menschenrechtsverletzungen besteht zwar gem. Art. 111 Frontex-Verordnung die Möglichkeit bei Frontex intern Beschwerde einzulegen. Da in diesem Mechanismus keine unabhängige Instanz eingeschaltet ist, kann er jedoch unterlaufen werden und bietet keinen wirksamen Rechtsschutz. Auch im Fall von Omar B. war eine Beschwerde bei Frontex erfolglos. Frontex reagierte erst nach über drei Jahren und schob die Verantwortung auf die griechischen Behörden. Diese sahen jedoch keine Rechtsverletzung.

Scheitert eine solche Beschwerde bleibt den Betroffen nur noch der Gang zum EuGH. In der Praxis ist dieser Rechtsweg schwer zu beschreiten. Oft ist nicht geklärt, ob die Verantwortung für eine bestimmte Aktion bei den Mitgliedsstaaten oder Frontex liegt, sodass bereits die Wahl des Rechtsweges (EGMR oder EuGH) eine Herausforderung ist. Besonders bei Pushbacks auf hoher See ist die Beweislage gegen Frontex dünn. Eine langwierige rechtliche Klärung vergangenen Unrechts ist keine Priorität, wenn Menschen weiterflüchten. Dann geht es als erstes ums Überleben. Omar B.s Anwältin bezeichnet Pushbacks daher als „perfektes Verbrechen“.

Erfolgsaussichten der Klage gegen Frontex

Der Fall von Omar B. ist insofern ein Sonderfall, als dass das Geschehen sehr gut dokumentiert ist. Die Anwältin spricht von einer „erdrückenden“ Beweislage und schätzt die Erfolgsaussichten der Klage hoch ein. Bis ein Urteil gefällt wird, dauert es wohl dennoch mindestens eineinhalb Jahre.

Die Familie klagt vor dem EuGH gegen Frontex auf Schadensersatz und beruft sich dabei auf die Verletzung ihrer Grundrechte. Da die Familie ohne Asylverfahren ausgewiesen wurde, habe Frontex gegen das Gebot der Nichtzurückweisung verstoßen und die Familie in ihrem Grundrecht auf Asyl aus Art. 18 GRCh verletzt. Indem die Kinder während der Prozedur von ihren Eltern getrennt und demütigend behandelt wurden, sodass sie Traumata erlitten, habe Frontex Art. 24 GRCh verletzt. Dadurch sei der Familie ein Schaden entstanden, den sie von Frontex ersetzt verlangen.

Fazit

Die Klage von Omar B. ist ein wichtiger Schritt für die Familie selbst, aber auch von großer Bedeutung für die EU. Wenn eine EU-Agentur die europäischen Grundrechte verletzt, untergräbt das die Werte, auf denen die Union basiert. Frontex und die Union müssen zur Rechenschaft gezogen werden, um die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Eine erfolgreiche Klage könnte auch andere Betroffene ermutigen, den Gang zum Gericht auf sich zu nehmen. Die Hoffnung besteht, dass ein Urteil gegen Frontex dazu führt, dass sich die Agentur wieder an ihre Hauptaufgabe erinnert: die Wahrung europäischen Rechts an der EU-Außengrenze.

Eltern sind Eltern – nur bis zur Grenze eines Mitgliedstaates?
Globale Pandemiebekämpfung - von globaler Ungleichheit geprägt