Mordprozess in Berlin macht institutionellen Rassismus sichtbar

Am 11. Juli 2016 ging der Prozess gegen Rolf Z. wegen Mordes an Luke Holland mit einer Verurteilung zu Ende. Trotz Funden von Waffen und Nazidevotionalien in der Wohnung des Angeklagten, sowie Zeug*innenaussagen, Rolf Z. habe sich über das internationale Publikum in seiner Stammkneipe geärgert, spricht der Richter von einem Mord ohne Motiv. Das psychologische Gutachten zum Angeklagten illustriert indes institutionellen Rassismus im Gerichtssaal.

Der Mord an Luke Holland

Nach Ansicht des Gerichts hatte Rolf Z. den weißen Briten Luke Holland am 20. September 2015 vor einer Bar in Neukölln erschossen. In seiner Wohnung wurden neben Waffen und Sprengstoff auch umfangreiche Nazidevotionalien gefunden. Aussagen von Zeug*innen, Rolf Z. sympathisiere mit der NPD und habe sich darüber geärgert, dass in seiner Stammkneipe „nur noch englisch und spanisch gesprochen werde“, lassen ein fremdenfeindliches Tatmotiv vermuten. Die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“, sieht darüber hinaus Parallelen zu einem anderen Fall, die auf die Beteiligung von Rolf Z. und auf Rassismus als Tatmotiv verweisen: Am 5. April 2012 wurde der 22-jährige Burak Bektaş in Neukölln von einem Unbekannten erschossen. Eine Aufklärung des Falls, in dem Rolf Z. kurzzeitig als möglicher Tatverdächtiger geführt wurde, steht bis heute aus. Die Einstellung von Rolf Z. wird vor Gericht vor allem von der Nebenklage – vertreten durch Mehmet Daimagüler und Onur Özata, ebenfalls Nebenklage-Anwälte im NSU-Prozess – thematisiert. Erst im Rahmen der Plädoyers nimmt auch die Staatsanwaltschaft auf die mögliche rechte Ideologie des Angeklagten Bezug. Der vorsitzende Richter sieht es jedoch nicht als nachgewiesen an, dass das Mordmotiv darauf beruht, das Gericht verurteilt Rolf Z. deshalb nur wegen heimtückischen Mordes.

Das psychologische Gutachten zu Rolf Z.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird am 20. Juni 2016 ein Sachverständigengutachten über die psychologischen Voraussetzungen für die Schuldfähigkeit des Angeklagten verlesen. Die folgenden Zitate basieren auf einem selbständig angefertigten schriftlichen Protokoll.

Da Rolf Z. einer klinischen Untersuchung widersprochen hatte, stützt sich das Gutachten des Sachverständigen lediglich auf die Beweisführung vor Gericht. Er beginnt mit einer Analyse des „Sammlertyps“ des Angeklagten, auf Grundlage von Fotos des sogenannten „Herrenzimmers“ in der Wohnung des Angeklagten – so wird das mit Waffen und NS-Symbolen ausgestattete Zimmer des Angeklagten bezeichnet. Neben der „Briefmarkensammlung“ und einer „Flaschenbatterie“ erwähnt der Sachverständige dann erst an dritter Stelle die Anhäufung von Nazidevotionalien, die er als „eindrucksvolles Arrangement“ bezeichnet.

Diese „ausgeprägte Sammelleidenschaft“ ließe sich laut Sachverständigem auf ein „offensichtliches Interesse an dieser Zeit zurückführen“. Die im Zimmer vorgefundenen Hitlerbüsten und Darstellungen der NS-Führungsriege beschreibt der Gutachter als „namenhafte Größen“ der damaligen Zeit. Er betont jedoch, dass sich daraus kein „unmittelbarer Rückschluss“ oder „Verbindungen zu rechtsextremen Ideologien“ erkennen lassen. Da er bisher nicht mit „ausländerfeindlichen Taten“ in Verbindung gebracht worden sei, könne lediglich festgehalten werden, dass Rolf Z. „offenbar nicht ganz so einverstanden [sei], dass viele Ausländer in Deutschland sein sollen“.

Weiter folgen Ausführungen zur Beziehung des Rolf Z. Es wird von seiner „Angst“ berichtet, die Zeugin Veronika K. würde „«mit Ausländern herum machen»“. Eine „krankhafte Eifersucht“ von Rolf Z. sei hier allerdings nicht abzulesen, da es sich dabei vielmehr um eine „logische Aussage“ handeln würde. Schließlich lebten nach Erläuterung des Sachverständigen „ja ohnehin nur noch Ausländer“ und „keine Deutschen mehr im Haus“. An dieser Stelle verweist er auch darauf, dass die von Rolf Z. wahrgenommene Veränderung seiner Nachbarschaft, „wie man den Berichten bestimmter Bürgermeister entnehmen könne, ein recht umfangreicher Prozess sei“, gemeint ist wohl der Neuköllner Ex-Bürgermeister Heinz Buschkowsky.

Nach einigen Ausführungen zu einer möglichen Alkoholabhängigkeit, prognostiziert der Sachverständige Rolf Z. dann abschließend eine „überschaubar“ geringe Wahrscheinlichkeit zur Wiederholung des Delikts, schließlich spreche schlicht die Statistik dafür sowie das fehlende Motiv.

Institutioneller Rassismus im Gerichtsaal

In dem Gutachten wird zum einen die rechte Ideologie des Rolf Z. wiederholt nicht benannt. So beispielsweise, wenn der Gutachter die Nazidevotionalien euphemistisch als „Sammelleidenschaft“ bezeichnet und dann feststellt, dass sich aus dieser kein Zusammenhang mit einer rechten Ideologie ablesen lasse.

Zum anderen relativiert der Sachverständige die von Zeug*innen wiedergegebenen fremdenfeindlichen Aussagen des Rolf Z. als ein „nicht ganz so einverstanden“- Sein. Durch den Verweis auf die Thesen des ehemaligen Neuköllner Bürgermeisters Buschkowsky, der Migrant*innen pauschal als weniger wert und als Bedrohung darstellt, verleiht der Sachverständige rassistischen Denk- und Argumentationsmustern gutachterliche Weihen. Als Alltagswissen verdeckt, finden rassistische Bilder und Vorstellungen so Eingang in die gerichtliche Praxis. Was hat das mit institutionellem Rassismus zu tun?

Als institutioneller Rassismus werden Rassismen bezeichnet, die von Institutionen der Gesellschaft, von ihren Gesetzen, Normen und internen Logiken ausgehen, unabhängig davon inwiefern Akteur*innen innerhalb der Institutionen absichtsvoll handeln oder nicht. Es kommt also zunächst nicht drauf an, ob der Sachverständige seine Argumentation selbst rassistisch meint oder nicht. Entscheidend für die Bezeichnung als institutioneller Rassismus ist hier jedoch die Reaktion des Gerichts: keine. Eine kritische Einordnung der Äußerungen und Relativierungen des Gutachters in der anschließenden Diskussion im Gerichtssaal bleibt völlig aus. Rassistisches Wissen bleibt vor Gericht unwidersprochen und wird dadurch reproduziert.

Auch in der Prognose der geringen Wiederholungswahrscheinlichkeit offenbart sich die Dethematisierung der rechten Einstellung Rolf Z.s als mögliches Tatmotiv, ließe sich doch erwarten, dass eine solche Prognose unter Einbeziehung der neonazistischen Ideologie des Angeklagten anders ausgefallen wäre.

Mord ohne Motiv?

In diesem Sinne erfolgt dann auch das Urteil im Prozess gegen Rolf Z. Eines Mordes ohne Motiv schuldig gesprochen, wird er zu elf Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. In der Urteilsbegründung wird zwar auf eine mögliche rechte Ideologie des Täters eingegangen, allerdings könne diese nicht belegt werden. Ob bei einer stärkeren Thematisierung der politischen Einstellung Rolf Z.s nicht doch ein fremdenfeindliches Motiv hätte festgestellt werden können, bleibt damit auch nach der Urteilsverkündung offen.

Bestehen bleibt auch die Befürchtung, dass selbst nach dem NSU-Morden keine weitreichende Sensibilisierung für rechte und rassistische Gewalt erfolgt ist. Zwar steht beim Prozess am OLG München die „völkisch-rassistische Motivation“ der TäterInnen laut Anklageschrift außer Frage, jedoch scheint die Ausstrahlungswirkung der Erkenntnisse zum Umgang mit rechter Gewalt in andere Gerichte gering zu sein. Während institutioneller Rassismus im Zusammenhang mit dem NSU als Grund für fehlgeleitete Ermittlungsverfahren benannt wurde, scheint er in anderen Kontexten weiterhin nicht erkannt zu werden. Nicht im Ermittlungsverfahren zum Mord an Burak Bektaş. Und nicht vor Gericht beim Prozess um den Mord an Luke Holland.

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