Mutter ist … der Vater des Kindes? Zwischen Kindeswohl und Persönlichkeitsrechten: der Streit um die Anerkennung von gebärenden Vätern im deutschen Recht

Am 6.9.2017 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass ein trans* Mann, der ein Kind geboren hat, rechtlich als Mutter seines Kindes zu gelten habe. Der folgende Beitrag beleuchtet die Bedeutung dieser rechtlichen Situation und ihre Konsequenzen für gebärende Väter, zeugende Mütter und ihre Familien in Deutschland.

Das BGH-Urteil

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte der Kläger bereits vor der Geburt seines Kindes die Änderung seines Vornamens sowie seines personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags von weiblich zu männlich in einem Verfahren nach dem Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) erwirkt. Medizinische Eingriffe, die die reproduktiven Organe beeinträchtigen, hatte der Kläger nicht vornehmen lassen. Er lebte also von nun an mit dem Recht darauf, in seinem männlichen Geschlecht und mit dem neuen männlichen Vornamen angesprochen zu werden. Nach der Geburt des Kindes verweigerten die zuständige Behörde sowie die unterinstanzlichen Gerichte dem Kläger jedoch, als Vater in der Geburtsurkunde des Kindes eingetragen zu werden.

Auch der BGH hielt an dieser Auffassung fest. Er entschied, dass der Kläger in der Geburtsurkunde des Kindes mit dem veralteten und bereits durch ein aufwändiges gesetzliches Verfahren abgelegten, weiblichen Vornamen anstelle des aktuellen männlichen Vornamens des Elternteils eingetragen werden müsse.

Nach geltendem deutschen Recht des TSG müssen vor Vornamens- und Personenstandsänderung zwei unabhängige externe Gutachten eingeholt werden. Diese sollen die sogenannte transsexuelle Prägung feststellen, indem sich der_die TSG-Antragssteller_in nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem sogenannten „anderen“ Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, entsprechend zu leben. Außerdem muss mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass sich das sogenannte gegengeschlechtliche Zugehörigkeitsempfinden nicht mehr ändern wird. Durch die aufwendigen und vielfach kritisierten Begutachtungen dauern dieses Verfahren sehr lange und sind für die Antragsstellenden kostenaufwändig (ca. 1.800 Euro/Verfahren). Im Lichte des jüngsten BGH-Urteils bringen sie jedoch trotzdem keine Rechtssicherheit für die betreffenden trans* Menschen, wenn sie ihren Kinderwunsch umsetzen wollen.

Praxisrelevanz und rechtliche Probleme

Seit dem Wegfall des grundgesetzwidrigen Sterilisationszwangs als Voraussetzung für die rechtliche Änderung des Geschlechtseintrages nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2011, ist es möglich, dass trans* Menschen auch nach rechtlicher Anerkennung ihres Geschlechts Kinder gebären und zeugen können. Diese Anerkennung der Identitäten und Lebensrealitäten von trans* Menschen kam im internationalen Vergleich spät, aber nicht zu spät, um das deutsche Recht menschenrechtskonformer zu machen. Und jüngst am 8.11.2017 hat das BVerfG (1 BvR 2019/16) erneut den grundrechtlichen Anspruch auf Schutz und Anerkennung der Geschlechtsidentität (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1. Abs. 1 GG) betont, in seinem bahnbrechenden Urteil zur Schaffung eines Geschlechtseintrages jenseits von männlich und weiblich (geklagt hatte eine nicht-binär identifizierte inter* Person).

Der Gesetzgeber hat es seit Bestehen des TSG trotz sieben(!) BVerfG-Urteilen zur Unrechtmäßigkeit des Gesetzes versäumt, dem allgemeinen dringenden Regelungsbedarf nachzukommen. Das gilt insbesondere auch dafür, die Realität dieser Familien anzuerkennen. Der Bundesrat, das Bundesfamilienministerium, sowie alle etablierten Parteien (einschließlich der CDU/CSU gemäß der Antwort auf die Wahlpüfsteine der Bundesvereinigung Trans*) fordern eine Abschaffung oder grundlegende Reform des TSG.  Die rechtliche Anerkennung von trans* Eltern muss hierbei besonders dringend Berücksichtigung finden.

Der BGH-Beschluss bezieht sich in weiten Teilen auf das TSG und verdeutlicht so noch einmal dessen dringenden Reformbedarf. Das TSG in seiner jetzigen Form sorgt, insbesondere durch §11 Eltern-Kind-Verhältnis, für eine andauernde Diskriminierung durch dauerhaften Outing-Zwang von trans* Eltern und deren Kindern. Die Argumentation des BGH lautet: Das Kind solle nicht gezwungen werden, eine Geburtsurkunde vorzulegen, die gegenüber Dritten die Transgeschlechtlichkeit der Eltern offenlegen würde. Dies sei nur möglich, wenn nirgends deutlich würde, dass eine männliche Person das Kind geboren habe. Ferner behauptet der BGH: Die Verknüpfung zwischen Fortpflanzungsfunktion und Geschlecht sei unbestreitbar biologisch begründet. Deshalb sei Vaterschaft und Mutterschaft nicht an die soziale Bedeutung zu knüpfen, sondern vielmehr nur an den „biologischen Beitrag“, also die Eizelle bzw. Samenzelle. Nur so könne das Grundrecht der Kinder auf das Wissen um die eigene Abstammung gewährleistet werden.

Jedoch wird das Anrecht auf das Wissen um die eigene Abstammung gerade durch dieses Urteil eingeschränkt. In der Tat hat das Kind ein Recht, die eigene Abstammung zu kennen. Dem Kind wird aber eine wesentliche Information vorenthalten, wenn im Geburtenregister eine Person als Mutter eingetragen wird, die es (z.T. schon lange) nicht mehr gibt, weil sie nach §§ 1 und/oder 8 des TSG bereits ein Mann mit männlichen Vornamen ist. Das Argument, eine Geburtsurkunde, in der nur ein Vater, aber keine Mutter eingetragen sei, oder in der zwei Mütter oder zwei Väter eingetragen seinen, lasse automatisch keinen andern Schluss zu, als dass ein Elternteil trans* sein müsse und zwinge damit das Kind zu einer Offenbarung der trans* Identität seines Elternteils, ist in Zeiten von alleinerziehenden und gleichgeschlechtlichen Eltern obsolet. Notwendig hingegen sind Dokumente, die sich auf rechtlich existierende Personen beziehen und die Lebensrealität der Familien abbilden. Wie wichtig die Geburtsurkunde des Kindes ist, wissen alle Eltern (und späteren Erwachsenen) aus Praxiserfahrungen. Die BGH-Feststellung, sie müsse ohnehin nicht oft vorgezeigt werden, und wenn doch, so könne man ein Geburtsurkunde beantragen, in der nur die Geburt, nicht die Elternschaft bezeugt sei, ist nicht praxisnah, sondern weit entfernt von der Lebensrealität der betreffenden Menschen. Das Gericht sagt, das Kind habe das Recht auf Geheimhaltung der Transgeschlechtlichkeit seines Elternteils und auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Gleichzeitig macht genau dieser Beschluss die Geheimhaltung unmöglich, und die Kenntnis der eigenen Abstammung sehr voraussetzungsreich.

§ 11 TSG macht zudem im Sinne der Gleichbehandlung und Antidiskriminierung einen fragwürdigen Unterschied zwischen adoptierten vs. geborenen bzw. gezeugten Kindern, denn die richterliche Entscheidung, dass der_die Antragsteller_in als dem „anderen“ Geschlecht als zugehörig anzusehen ist, lässt das Rechtsverhältnis zu den Kindern unberührt, bei angenommenen Kindern jedoch nur, soweit diese vor Rechtskraft der Entscheidung als Kind angenommen worden sind. Gleiches gilt im Verhältnis zu den Abkömmlingen dieser Kinder. Neben den geltenden Grund- und Persönlichkeitsrechten von Trans*-Eltern, stellt das BGH-Urteil das sogenannten Offenbarungsverbot nach § 5 des TSG in Frage, nachdem der frühere rechtliche Geschlechtseintrag und die früheren Vornamen einer Trans*-Person nicht ausgeforscht und offenbart werden dürfen. In dem Augenblick, in dem in der Geburtsurkunde des Kindes der gebärende Vater als Mutter steht oder die zeugende Mutter als Vater, ist diese rechtliche Regelung verletzt. Denn der aktuelle, geänderte Vorname des gebärenden Vaters bzw. der zeugenden Mutter taucht nicht in der Geburtsurkunde des eigenen Kindes auf. Darin muss nun nach BGH Auffassung ein alter, geschlechtskonträrer Name stehen.

Aus der derzeitigen Rechtslage und Rechtsauslegung durch den BGH ergeben sich für die betroffenen Familien handfeste, alltagsrelevante Probleme. Bei jedem Nachweis von Elternschaft muss die Transgeschlechtlichkeit offenbart werden und es müssen nicht stimmige Dokumente erläutert werden. Das betrifft jede Meldeangelegenheit, das Finanzamt, die Kindergeldstelle, die Kita- und Schulanmeldung, die Elterngeldstelle, den Arbeitgeber bei Beantragung von Elterngeld und weitere. Die Transgeschlechtlichkeit des Elternteils kann ferner durch Postverkehr mit Stellen, die diesen unter altem Namen und Personenstand anschreiben, auch Nachbar_innen und weiteren Personen offenbar werden. Die Familie kann so nicht mehr selbst entscheiden, wo und gegenüber wem sie sich durch Geheimhaltung vor möglicher Diskriminierung schützen möchte. Auch der Arbeitgeber des trans* Elternteils wird so automatisch über die trans* Identität in Kenntnis gesetzt, so dass trans* Eltern auch in diesem hochgradig sensiblen Bereich Diskriminierungen ausgesetzt sein könnten. Die Situation bei Reisen ins Ausland ist vollständig ungeklärt. Wie soll die eigene Elternschaft nachgewiesen werden, wenn das einzige Dokument, das eine Verbindung zwischen den Ausweispapieren des Elternteils und der Geburtsurkunde des Kindes darstellen könnte, ein (in deutscher Sprache formulierter) Beschluss nach dem Transsexuellengesetz eines deutschen Amtsgerichtes ist? Nationale richterliche Beschlüsse haben keine überstaatliche Geltung und müssen insbesondere in Ländern nicht anerkannt werden, die keine ähnlichen Regelungen wie das deutsche Transsexuellengesetz kennen (und derer gibt es viele). Die Freizügigkeit der Familien ist damit eingeschränkt.

Fazit: Die derzeitige Rechtsprechung gefährdet das Kindeswohl

Das BGH-Urteil verhilft dem Kind nur scheinbar zu einer „unauffälligen“ Geburtsurkunde, in der z. B. im Falle eines gebärenden Vaters eine Mutter mit weiblichem Namen verzeichnet ist. Nach dem Willen des BGH wird dem Kind nunmehr lebenslang zugemutet, eine Geburtsurkunde zu führen, die einen personenstandsrechtliches Elternteil führt, das es weder rechtlich noch sozial gibt. Ein Kind mit dieser Geburtsurkunde wird auch als Erwachsene_r vor großen Problemen stehen, wenn es die Verwandtschaft mit seinem gebärenden Vater nachweisen muss – z.B. im Erbfall oder wenn es im Notfall medizinische Entscheidungen für den Vater treffen muss. Vor allem aber in der Kindheit ist eine solche Geburtsurkunde ein unbrauchbares Dokument und potenziell diskriminierungsprovozierend, weil es ausschließlich erklärbar ist mit der Offenlegung der Transgeschlechtlichkeit. Die Möglichkeit, sich einfach nicht zu äußern besteht nicht, weder für den trans* Vater, noch für das Kind. Eine solche Regelung gefährdet eher das Kindeswohl als es zu schützen.

So fordert die Bundesvereinigung Trans* (BVT*): Trans*-Menschen, die Eltern sind, müssen im Geburtenregister und in den Geburtsurkunden ihrer Kinder geschlechtsneutral und mit ihrem aktuell geführten Vornamen eingetragen werden. Die Anerkennung als Mutter oder Vater muss sich an der der empfundenen Geschlechtsidentität der Eltern und sozialen Realität der Familien orientieren. Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung wird dadurch nicht beeinträchtigt, sondern gestärkt, weil es seine Abstammung diskriminierungs- und outing-frei gegenüber Dritten dokumentieren kann. Die derzeitige Rechtslage und der aktuelle BGH-Beschluss setzen hingegen ausgerechnet Familien einer unhaltbaren rechtlichen und strukturellen wie auch alltäglichen Diskriminierung aus. Deshalb wurde gegen den Beschluss eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.

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