Politisches rien ne va plus oder Grundrechtsverwirkung gegen Rechts?

Nach dem Mord an Walter Lübcke wurden Forderungen laut, im Kampf gegen Rechtsextremismus Art. 18 des Grundgesetzes (GG) anzuwenden. Er ermöglicht die Verwirkung von Grundrechten, wenn sie zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingesetzt werden. Auf den ersten Blick klingt diese Forderung sinnvoll. Auf den zweiten Blick treten Probleme rechtlicher, vor allem aber politischer Natur zutage. Ist die Grundrechtsverwirkung ein wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen rechts?

Der Mord an Walther Lübcke – die rechte Gefahr

Der Mord an Walter Lübcke hat Entsetzen und Erschütterung hervorgerufen. Er wirft erneut ein Schlaglicht auf rechtsextreme Gewalt, die in den letzten Jahren allzu oft in Morden mündete.Was nunmehr über den mutmaßlichen Täter Stephan E. – der ein Geständnis abgelegt und widerrufen hat – bekannt ist, ist erschreckend:NPD-Mitgliedschaft, ein Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft, versuchter Totschlag, Kontakte zum Neonazi-Netzwerk „Combat 18“ und damit mögliche Verbindungen zum Netzwerk des NSU. Den Mordentschluss mit befördert haben könnten auch Mordaufrufe und -fantasien gegenüber Walter Lübcke im Netz. Aus diesem Grund wartete der CDU-Politiker Peter Tauber Ende Juni mit einem Vorschlag auf: Man müsse den rechten Feind entschiedener bekämpfen, wofür es in der grundgesetzlichen Konzeption der wehrhaften Demokratie ein Werkzeug gebe, das nun angewandt werden sollte: Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG.Damit sollen nach der Vorstellung von Peter Tauber auch Menschen belegt werden, die etwa durch Hetze, Gewalt- oder Mordaufrufe im Netz auffallen. Der Bundesinnenminister kündigte an, die Idee zu prüfen.Ist das im Lichte von Art. 18 GG sinnvoll?

Art. 18 GG – scharfes Schwert oder totes Recht?

Unter den Normen des Grundrechtsteils des Grundgesetzes hat es Artikel 18nicht zu besonderer Prominenz gebracht. Darin steht, wer die Freiheit der Meinungsäußerung zum Kampfe gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbrauche, verwirke seine Grundrechte. Explizit werden etwa die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) oder die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) genannt. Ein scharfes Schwert also, dieser Artikel 18. Und doch spielte er in der Debatte um die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie bisher kaum eine Rolle.

Die Zahl der Fälle, in denen Art. 18 GG angewandt wurde, beläuft sich auf null; die der Verfahren, die zu seiner Anwendung eingeleitet wurden, immerhin auf vier. Es gab also genau so viele Versuche, einer Person seine Grundrechte zu entziehen, wie es – ungleich beweisaufwändigere und umfangreichere – Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 GG gab: gegen die SRP und die KPD in der 1950er Jahren und zwei gegen die NPD in den 2000ern und 2010ern. Das ist nicht die einzige Parallele: Gemein ist beiden Verfahren zunächst, dass sie vor dem Bundesverfassungsgericht geführt werden. Das Verfahren zur Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG muss vom Bundestag, der Bundesregierung oder einer Landesregierung eingeleitet werden (§ 36 BVerfGG). Zur Beweisaufnahme kann das Bundesverfassungsgericht Durchsuchungen oder Beschlagnahmen nach den Vorschriften der StPO anordnen (§ 38 Abs. 1 BVerfGG). Dies ist ein ungewöhnliches Verfahren für das Bundesverfassungsgericht, das in anderen Verfahrensarten von solchen prozessualen Maßnahmen keinen Gebrauch machen kann. Lediglich in den Regeln zum Parteiverbotsverfahren wird auch auf diese Möglichkeit, Durchsuchungen anzuordnen, verwiesen (§ 47 BVerfGG).

Nicht nur die Verfahrensarten ähneln sich, sondern auch die Gegner, die in der Vergangenheit mit den beiden Verfahren bekämpft werden sollten. Mit Ausnahme des Verbots der Kommunistischen Partei Deutschlands (1956) wurden Parteiverbotsverfahren gegen rechtsextreme Parteien geführt: 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei verboten, 2003 und 2017 endeten Verfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands erfolglos. Anträge auf Grundrechtsverwirkung wurden bislang allein gegen Personen aus dem rechtsextremen Milieu gestellt. Neben dem Vorsitzenden der zuvor verbotenen SRPwaren dies Gerhard Frey, rechtsextremer Verleger der Deutschen National-Zeitung und langjähriger Chef der Deutschen Volksunion (DVU) sowie zwei Personen, die wegen Volksverhetzung und Beleidigung in Zusammenhang mit einem rechtsextremistischen Brandanschlag verurteiltworden waren. Erfolgreich waren sie in keinem der vier Fälle.

Zu hohe Anforderungen?

Liest man die kurzen Entscheidungsbegründungen des Bundesverfassungsgerichts im Fall des rechtsextremen Verlegers Gerhard Frey, wird deutlich, warum: „Art. 18 GG dient der Abwehr von Gefahren, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch individuelle Betätigung drohen können. […] Er richtet sich gegen den Einzelnen, der kraft seiner Fähigkeiten und der ihm zur Verfügung stehenden Mittel eine um der Erhaltung der Verfassung willen zu bekämpfende Gefahr schafft“ (Beschluss vom 2.7.1974 – 2 BvA 1/69, Rn. 9). Diese Anforderungen erscheinen fast zu hoch, als dass sie Einzelpersonen erfüllen könnten. Insbesondere vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem zweiten NPD-Verbotsverfahren drängt sich dieser Eindruck auf.

Das Gericht stellte die Verfassungswidrigkeit der NPD fest, sprach aber kein Verbot aus. Die dafür vorausgesetzte Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung liege nämlich erst dann vor, „wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt.“ (Urteil vom 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 556). Eine Kleinpartei wie die NPD erfüllt diese Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht. Diese Rechtsprechung wurde als Verantwortungszuweisung beschrieben: Die viel beschworene Wehrhaftigkeit der Demokratie äußere sich nicht darin, dass das Bundesverfassungsgericht Parteien verbiete. Vielmehr sei es an der Gesellschaft, extremistischen Parteien im Diskurs zu begegnen und entgegenzutreten. Das Verbot bleibt demnach die allerletzte Möglichkeit, wenn eine konkrete Gefahr im Raum steht.

Diese Rechtsprechung ist auch kritisiert worden – wenn eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung besteht, die Schwelle des Bundesverfassungsgerichts überschritten ist, ist es dann nicht schon viel zu spät für ein Parteienverbot?Dennoch kann man aus ihr Aufschlussreiches für die Forderung nach einer Grundrechtsverwirkung für rechtsextreme Personen ziehen.

Ein Zeichen politischer Hilflosigkeit

Peter Taubers Vorschlag zielte nicht auf einzelne, herausgehoben Figuren der rechtsextremen Szene, die mit ihren Worten und Parolen Leuchtturmwirkung für viele Menschen mit einer solchen Gesinnung haben mögen. Nein, in seiner Forderung schränkt er den Anwendungsbereich nicht ein. Ihm geht es also um eine unüberschaubare Zahl an Menschen, die täglich Hass und Hetze im Netz verbreiten. Wie aber soll man sich das nun vorstellen? In jeder Sitzungswoche des Bundestages beschließt der Bundestag eine Liste von Personen, die man vor das Gericht in Karlsruhe bringen möchte? Die Bundesregierung sendet mit der wöchentlichen Korrespondenz eine Reihe von Anträgen an das Bundesverfassungsgericht? Dazu wird kaum darzulegen sein, dass von all diesen Einzelpersonen eine solche Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, also für die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (vgl. die Leitsätze des BVerfG in 2 BvB 1/13), ausgeht, dass sie durch Entzug der Grundrechte bekämpft werden müssen.

Denn was würde aus einem solchen Urteil folgen? Da stünde dann schwarz auf weiß, dass es Politik und Gesellschaft nicht gelingt, rechtem Hass und rechter Hetze zu begegnen. Das Versagen, sich menschenfeindlichen, rassistischen, demokratiefeindlichen Äußerungen entgegenzustellen, wäre so groß geworden, dass eine Gefahr für die Grundlagen der Demokratie des Grundgesetzes, dieser unserer Demokratie, im Ergebnis steht.

Der Ruf nach einer neuerlichen Anwendung von Art. 18 GG kommt daher einer politischen Kapitulationserklärung gleich. Ganz unumwunden sagt Tauber denn auch, ihm gehe es um eine „Entpolitisierung“ rechtsextremer Personen. Warum eigentlich? Es ist ja durchaus nicht so, als sei der Griff zum scharfen Verfassungsschwert das Einzige, das rassistischen, antisemitischen, völkischen, anti-feministischen, homo- und transphoben und republikfeindlichen Positionen entgegengesetzt werden kann. Breite gesellschaftliche Bekenntnisse zur freiheitlichen Demokratie und gegen rechts, etwa die #Unteilbar- oder die #wirsindmehr-Demonstrationen, zivilgesellschaftliches Engagement und das Aufdecken rechter Argumentationsmuster sind das Eine. Das Andere aber ist die konsequente Bekämpfung rechtsextremer Strukturen etwa in den Sicherheitsorganen. Die erschreckenden Taten des selbst ernannten „NSU 2.0“, der wohl aus hessischen Polizeikreisen stammt, sind nur ein Beispiel für eine Reihe von Vorfällen, die die ZEIT kürzlich zu der Frage veranlassten: „Wie rechts ist die Polizei?“In den Reihen der Bundeswehr, das zeigen Recherchen der taz, formieren sich Gruppen und Netzwerke mit rechtsextremer Gesinnung. Dies spricht auch Tauber in seiner Forderung nach Art. 18 GG an, wirkt dabei aber für einen Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium erstaunlich tatenlos.

Was bleibt nun vom Ruf nach der Grundrechtsverwirklichung für Rechtsextreme? Man kann sich freuen, dass auch die CDU die Gefahren, die von gewaltbereiten Rechtsextremen ausgehen, endlich erkannt hat und sie bekämpfen möchte. Der Wunsch aber, das Bundesverfassungsgericht möge diese Aufgabe erledigen, ist verfehlt. Verfassungsrechtlich ist er wenig erfolgsversprechend. Gesellschaftspolitisch erscheint er als verzweifelter Versuch, sich aus der Verantwortung für einen inkonsequenten Umgang mit rechtsextremen Strukturen durch die Sicherheitsorgane und bei ihrer parlamentarischen Kontrolle zu stehlen. Darüber hinaus darf bezweifelt werden, dass ein Urteil, das Rechtsextremen bescheinigt, außerhalb der Verfassungsordnung zu stehen, zur Befriedung beiträgt. Vielmehr könnte eine Versagung der Meinungsfreiheit gerade dazu führen, dass Gewalt als das präferierte, vermeintlich einzig verbleibende Mittel erscheint. Es wäre deshalb wünschenswert, Art. 18 GG auch weiterhin aus der Diskussion um den Kampf gegen Rechtsextremismus zu halten und sich gesellschaftlicher und politischer Verantwortung zu stellen. Fraglich ist gar, ob der Artikel mehr als einen symbolischen Nutzen in der Normenkette zur Belegung des Konzepts der wehrhaften Demokratie im Grundgesetz hat. Eine verfassungsrechtliche Debatte über seine Abschaffung wäre daher kein Sakrileg, sondern könnte deutlich machen, dass die Verteidigung der Grundwertungen des Grundgesetzes eine genuin politische Angelegenheit ist.

 

 

 

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