Verhütungsmittel für alle – oder doch nicht? Auf den Spuren eines leeren Versprechens

Laut neuestem Bericht des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) vom April 2019 haben bis heute noch 214 Millionen Frauen* keinen Zugang zu Verhütung. Doch während der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller sich vor allem auf die Versorgungsprobleme in afrikanischen Staaten fokussiert, sollten wir den Blick nach Deutschland nicht vergessen. Denn auch in Deutschland ist der ungehinderte Zugang zu Verhütungsmitteln aktuell keine gelebte Realität.

Zugang zu Verhütungsmitteln für alle? Nur für die, die es sich leisten können

Erst im Februar diesen Jahres wurden zwei Anträge der Fraktion DIE LINKE sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Zugang zu Verhütungsmitteln abgelehnt. Während DIE LINKE einen kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln für alle forderte, beschränkte sich der Antrag der Grünen auf einen kostenlosen Zugang für Menschen mit geringem Einkommen.

Eine Studie im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hatte erst 2016 einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der finanziellen Situation und der Nutzung von Verhütung aufgezeigt. In finanzieller Not weichen Frauen* auf weniger sichere Verhütungsmittel aus oder verhüten überhaupt nicht.

Aktuell werden verschreibungspflichtige Verhütungsmittel wie die Pille, die Spirale oder Verhütungsringe ab dem 23. Lebensjahr nur durch die gesetzliche Krankenkasse erstattet, wenn sie medizinisch notwendig sind. Nicht verschreibungspflichtige Verhütungsmethoden wie beispielsweise Kondome oder Zykluscomputer werden gar nicht übernommen. Zusätzlich fällt eine Zuzahlung von fünf bis zehn Euro ab 18 Jahren an. Für Notfallkontrazeptiva wie die sogenannte Pille danach gilt seit 2015 Rezeptfreiheit. Notfallkontrazeptiva werden jedoch nur dann von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet, wenn ein Rezept vom ärztlichen Fachpersonal vorliegt, sodass die Rezeptfreiheit für sozial marginalisierte Frauen* nicht gilt.

Zudem müssen auch Menschen mit geringem oder ohne jegliches Einkommen ab dem 23. Lebensjahr selbst für die Kosten von Verhütungsmitteln aufkommen. Seit der Gesundheits- und Sozialreform 2004 müssen Personen, die Sozialleistungen erhalten, die Kosten für Verhütungsmittel aus dem Regelsatz für die Gesundheitspflege bezahlen. Dieser beträgt derzeit monatlich 15 Euro. Davon müssen jedoch auch nicht-verschreibungspflichtige Medikamente wie bspw. Schmerztabletten getragen werden. Eine Packung hormonhaltiger Arzneimittel („Pille“) kostet hingegen monatlich bereits zwischen 4,33 Euro und 22,10 Euro, ein Verhütungsring monatlich zwischen 12 und 24 Euro. Spiralen und Kupferketten erfordern eine einmalige Aufwendung bis zu 400 Euro (pro familia NRW, 2018). Eine Sterilisation für den Mann kostet 300 bis 500 Euro, bei Frauen* abhängig von der Methode zwischen 600 und 1600 Euro (pro familia Bundesverband, 2015). Alles Summen, die von Transferleistungen nicht bezahlt werden können. Letztlich bedeutet dies eine Einschränkung einkommensschwacher Menschen, da sie keine Freiheit bei der Wahl ihrer Verhütungsmittel haben. Der Zugang zu bestimmten Verhütungsmethoden oder -mitteln bleibt Frauen* damit nicht nur verwehrt, sie müssen sich im Zweifel sogar zwischen Verhütung und anderen nicht-verschreibungspflichtigen Medikamenten entscheiden.

Die bis vor Kurzem noch gültige Regelung zur Erstattung der Verhütungsmittelkosten durch § 24a SGB V bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres wurde im Gesetzentwurf des Schwangeren- und Familienhilfegesetz von 1992 mit der finanziellen Situation dieser Gruppe begründet. Der Gesetzgeber war sich also durchaus bewusst, dass die finanzielle Situation Auswirkungen auf das Verhütungsverhalten hat. Warum sich dies nur auf Frauen* und Mädchen* unter 21 Jahren auswirken sollte, ist unklar. Die durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Zusammenhang mit § 219a StGB bewirkte Verlängerung von der Übernahme der Kosten bis zur Vollendung des 22. Lebensjahres wirkt in dem Zusammenhang rein willkürlich festgesetzt. Verhütung betrifft nicht nur Altersklassen bis 22, sondern sollte im gesamten Leben möglich sein. Eine Altersbeschränkung erscheint schlicht beliebig und untergräbt die Rechte derer, die nicht mehr in die Altersklasse fallen.

Reproduktive Rechte auf internationaler Ebene  

Dabei hat der Deutsche Bundestag erst 2014 seine Unterstützung für das Kairoer Aktionsprogramm mit einem Beschluss zum Ausdruck gebracht. Darin heißt es unter anderem, dass der Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten sowie eine selbstbestimmte Familienplanung allen Menschen weltweit ermöglicht werden muss. Mit der Verabschiedung des Kairoer Aktionsprogramms auf der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 erkannten die beteiligten Staaten – darunter Deutschland – sexuelle und reproduktive Gesundheit als Teil des verbrieften Rechts auf Gesundheit an. Unter „reproduktiver Gesundheit“ versteht das internationale Recht einen Zustand uneingeschränkten körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens in allen Lebensbereichen der Fortpflanzung. Reproduktion meint also den gesamten Lebensbereich, der bereits mit der Entscheidung für oder gegen eine Zeugung beginnt.

Schon die UN-Menschenrechtskonferenz in Teheran 1968 hielt fest: „Eltern verfügen über das grundlegende Menschenrecht, frei und eigenverantwortlich über Anzahl und Geburtenabstand ihrer Kinder zu entscheiden.“ 2015 folgte außerdem die Verpflichtung Deutschlands durch die Agenda 2030 der Vereinten Nationen, sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit und das gesundheitliche Wohlergehen für alle Menschen einzusetzen.

Mittlerweile existiert ein umfassender Katalog reproduktiver Rechte im Völkerrecht, der weitreichende Staatenpflichten begründet. Die UN-Frauenrechtskonvention (Art. 16 Ziff. 1 lit. e CEDAW) sowie die UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 23 CRPD) garantieren das Recht, über Anzahl und Altersunterschied der Kinder zu entscheiden. Mit eingeschlossen davon ist das Recht auf Zugang zu den notwendigen Informationen und Ressourcen, um dieses Recht wahrnehmen zu können. Darüber hinaus verpflichtet Art. 12 CEDAW die Vertragsstaaten, der Frau gleichberechtigt zum Mann Zugang zur Familienplanung zu gewährleisten. Besonders hervorgehoben wurde dies in der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995, die die reproduktive Entscheidungsfreiheit als Grundrecht aller Paare und Einzelpersonen, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt betonte. Die besonderen psychischen, körperlichen und sozialen Umstände bei reproduktiven Belangen machen die lebensbereichsübergreifende Bedeutung reproduktiver Rechte besonders deutlich.

Doch bislang hat Deutschland seine völkerrechtlichen Pflichten nicht erfüllt. Der CEDAW-Ausschuss empfiehlt deshalb in seinen abschließenden Bemerkungen zum siebten und achten Staatenbericht Deutschlands zur Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention, dass in Übereinstimmung mit der general recommendation No. 24 (1999) Deutschland sicherstellt, dass moderne Verhütungsmittel im gesamten Bundesgebiet für alle Frauen* und Mädchen* zugänglich, erschwinglich und verfügbar sind.

Diskriminierung aufgrund des Geschlechts

Restriktive Regelungen über Verhütungsmittel wie in Deutschland stellen eine rechtfertigungsbedürftige Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.

Selbst über die eigene Fortpflanzung bestimmen zu können, legt gerade für Frauen* den Grundstein für die Wahrnehmung anderer Rechte, wie das Recht auf Bildung oder ihre ökonomische und politische Gleichstellung. Darüber hinaus wird in der heutigen heteronormativ geprägten Gesellschaft noch immer überwiegend Frauen* die Zuständigkeit für die Verhütung zugesprochen. Verhütung erscheint als eine individuelle Verantwortung der Frauen*, mit der sie verantwortungsbewusst umzugehen haben. Das zeigt die fehlende Geschlechtergerechtigkeit der Gesellschaft. Umso weniger verwundert die Ablehnung der beiden Anträge von Grünen und Linken. Stellungnahmen wie die der BDA, „Die Gemeinschaft der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen darf nicht mit Ausgaben für die individuelle Lebensführung einzelner Versicherter belastet werden“, verdeutlichen, wie tief das Verständnis von der Verhütung als persönliche Angelegenheit sitzt. Dass „einzelne Versicherte“ in diesem Fall fast ausschließlich Frauen* sind, wird missachtet. Familienplanung ist nicht einfach auf die Frage der individuellen Lebensführung zu reduzieren, sondern betrifft eine gesellschaftliche Verantwortung. Die Gesellschaft muss die Bedingungen dafür schaffen, dass Menschen ihre Familienplanung verantwortlich regeln können.

Auch die Auswahl über die Verhütungsmittel ist eingeschränkt. Gerade für Verhütungsmittel, die im Vergleich zu Hormonen und Kupfer weniger schädliche Nebenwirkungen mit sich bringen, gibt es kaum Unterstützung. Währenddessen ist die Pille für den Mann immer noch nicht zugelassen – wegen der Nebenwirkungen.

Die bestehenden Regelungen beweisen außerdem die in Deutschland herrschende Doppelmoral: Reproduktion bei Menschen mit Behinderung wurde bis jüngst aktiv unterbunden und bis heute werden sie weiterhin unter Druck gesetzt, keine Kinder zu bekommen.

Außerdem sind einerseits Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland zwar straffrei, aber letztlich illegal, gleichzeitig wird ein Zugang zu Verhütungsmitteln nicht vollumfänglich ermöglicht.

Kostenloser Zugang für alle!

Verhütung ist ein Menschenrecht. Es ist daher Aufgabe der Bundesregierung, den Zugang zu Verhütungsmitteln für alle und einen Rechtsanspruch darauf zu sichern. Einige Kommunen wie Flensburg, Paderborn oder Berlin haben in den letzten Jahren über Stiftungen oder Haushaltstitel Möglichkeiten entwickelt, um bestimmten Frauengruppen den kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln zu ermöglichen. Ein Anknüpfen der kostenlosen Abgabe von Verhütungsmitteln an Sozialleistungen ist jedoch in vielerlei Hinsicht problematisch. Für Menschen, die Sozialleistungen erhalten, ist es beschämend, eine Kostenübernahme mit dem Nachweis ihrer Bedürftigkeit zu beantragen. Darüber hinaus werden Menschen in Ausbildung und Studium nicht erfasst, die sich häufig ebenfalls in einer finanziell angespannten Situation befinden, genauso wie Menschen in schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen. Ein kostenloser Zugang hingegen würde bewirken, dass die Entscheidung für ein bestimmtes, optimal geeignetes Verhütungsmittel nicht mehr durch finanzielle Erwägungen beeinflusst werden würde und das Menschenrecht vollumfänglich wahrgenommen werden könnte.

Verhütung ist außerdem keine Frage des Alters – das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit beinhaltet auch die Entscheidungsfreiheit über Familienplanung, den Schutz vor Gesundheitsgefährdungen und ein ungefährliches Sexualleben. Das sollte für alle Lebensphasen gelten.

Das Recht auf Verhütung zu gewährleisten, wäre ein bedeutender Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit und eine Verbesserung des Menschenrechts auf eine selbstbestimmte Familienplanung. Die Entscheidung für ein individuell passendes Verhütungsmittel darf nicht länger von den eigenen finanziellen Ressourcen abhängen und als individuelles Problem der Frauen* verstanden werden! Nur so können wir in Deutschland von sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung sprechen.

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