„to the haters with love“ – Warum ein verlorener Prozess auch Sieg sein kann. Zur Verurteilung von Sigi Maurer

Am 9.10.2018 wurde Sigi Maurer vor dem Straflandesgericht Wien der üblen Nachrede schuldig gesprochen. Der darauf folgende Aufschrei war laut, denn: Sigi Maurer hatte sich mit der Tathandlung gegen sexistische Hassnachrichten zu Wehr gesetzt. Die österreichische Rechtsordnung bietet in solchen Fällen kaum effektiven Schutz.

Der sexistische Hass gegen Sigi Maurer

Angela Lehner bringt es auf den Punkt: Wer schon länger in Wien unterwegs ist, kennt Sigi Maurer. Zuletzt war sie Nationalratsabgeordnete für die Grünen; sexistischen Hass und  Zorn (rechts)populistischer Medien hat sie bereits im Herbst 2017 auf sich gezogen. Nach einem Fernsehauftritt zu #metoo türmten sich damals die Hassnachrichten bei ihr. Sigi Maurer entschied sich, nicht zu schweigen. Stattdessen antwortete sie öffentlich auf Twitter: Sektglas und Mittelfinger erhoben, getitelt: „to the haters with love“.

In den sozialen Medien hat auch der Fall begonnen, der jetzt im Herbst 2018 zu dem „wohl umstrittenste[n] Prozess in der jüngeren Geschichte des Wiener Straflandesgerichtes“ führte. Vorauszuschicken ist, dass die schriftliche Urteilsausfertigung in diesem Verfahren noch nicht zugestellt wurde. Schon deshalb stehen hier nicht rechtsdogmatische Fragen im Mittelpunkt, sondern die Dynamik der Prozessführung. Das Wissen um das Verfahren ist der akribischen Prozessbeobachtung zu verdanken.

Doch womit hat die Geschichte nun konkret begonnen? Es ist eine Facebook-Nachricht, die den Geschehnissen im Mai 2018 ihren Anstoß gab. Sie richtete sich an Sigi Maurer und stammte vom Account eines Wiener Bierladenbesitzers. In ihrem Sexismus und Hass hätte sie kaum expliziter sein können. Nachlesen lässt sich das zum Beispiel hier. Erneut entscheidet sich Sigi Maurer, nicht zu schweigen. Sie veröffentlicht die Nachricht auf Twitter und Facebook, weist darauf hin, dass sie keine rechtliche Handhabe gegen den – namentlich genannten – Verfasser hat.

Was darauf folgte, war eine Anzeige. Nicht etwa von Sigi Maurer, sie hatte nach Expert*inneneinschätzung tatsächlich wenig erfolgversprechende strafrechtliche Handhabe: Für eine gefährliche Drohung erschien der Bezug auf Vergewaltigung zu unbestimmt, die Ehrbeleidigung erfordert eine qualifizierte Öffentlichkeit von mindestens zwei Personen und Cybermobbing stellt auf einen längerfristigen Zeitraum ab. Möglich wäre eine verwaltungsstrafrechtliche Anzeige nach § 78 Abs 1 Telekommunikationsgesetz (TKG) gewesen (missbräuchliche Verwendung von Telekommunikationsendeinrichtungen und Funkanlagen). Hier ist den Anzeigenden freilich keine Möglichkeit zur Einnahme einer Parteistellung eingeräumt und sie erfahren in der Regel nichts über Verfahrensverlauf und Ausgang.

Wer zu strafrechtlichen Mitteln griff, war der Geschäftsbesitzer: Er räumte ein, dass die Nachricht von seinem Account stamme. Sein Computer sei jedoch im Geschäft öffentlich zugänglich und er wisse nicht, wer die Nachricht verfasst habe. Also machte er beim Straflandesgericht Wien üble Nachrede (§ 111 Strafgesetzbuch, StGB) und Kreditschädigung (§ 152 StGB) geltend. Beide Tatbestände stellen so genannte Privatanklagedelikte dar, sie werden also nur auf Initiative der Betroffenen strafrechtlich verfolgt.

Auf die Privatanklage folgte ein Verfahren, das auch der deutschen Medienlandschaft nicht entgangen ist. In Österreich machte die – am rechten politischen Rand verortete – Online-Plattform unzensuriert.at Stimmung gegen die ‚Stinkefinger-Zeigerin‘. Auf Twitter formierte sich währenddessen ein #teamsigi, das nicht nur Solidarität zum Ausdruck bringt, sondern auch unbändige Wut über Täter-Opfer-Umkehr, strukturelle Gewalt und sexistischen Hass. Nicht selten unter dem Hashtag #metoo.

Die Verurteilung von Sigi Maurer

Am 9. Oktober 2018 kam es dann zum Urteil: Sigi Maurer wurde zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro verurteilt. Dem Privatankläger muss sie 4.000 Euro Entschädigung sowie die Verfahrenskosten erstatten. Der entscheidende Richter sah den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt, mangels Vorsatzes nicht jedoch die Kreditschädigung.

Die üble Nachrede gem § 111 Abs 1 StGB stellt Tatsachenbehauptungen unter Strafe, die andere Person(en) in einer zumindest für eine dritte Person wahrnehmbaren Weise einer Eigenschaft, Gesinnung oder eines Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, die andere Person(en) in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen. Darunter fällt etwa auch die entsprechend öffentliche Benennung einer unsittlichen Belästigung. Straffrei wäre Sigi Maurer ausgegangen, hätte sie gemäß § 111 Abs. 3 StGB den Wahrheitsbeweis erbracht oder (zumindest) ihren guten Glauben bewiesen. Es ist insbesondere die richterliche Handhabe der Strafausschließungsgründe, die in der letzten Woche für einen Aufschrei gegen das Urteil, gegen sexualisierte Gewalt und  eine (erneute) Täter-Opfer-Umkehr gesorgt hat:

So haben sich Sigi Maurer und ihre – im Medienrecht erfahrene – Anwältin Maria Windhager mit Hilfe orthografischer Mittel bemüht, den Wahrheitsbeweis zu erbringen. Auch zeitlich ließ sich die Urheberschaft plausibel machen. Der entscheidende Richter gelangte schließlich zwar zur Überzeugung, dass der Kläger lüge. Allerdings habe sich nicht feststellen lassen, ob dieser selbst der Verfasser der Hassnachrichten sei oder ein anderer Verfasser gedeckt würde – Zweifel gehen in diesem Fall zu Lasten der Angeklagten. Damit verblieb Sigi Maurer alternativ noch die Möglichkeit nachzuweisen, dass sie von der Urheberschaft des Klägers ausgehen durfte. Hier kam für die Verteidigung erschwerend hinzu, dass die Veröffentlichung über die sozialen Medien die Begehung in Form eines Medieninhaltsdelikts bedeutete und damit den journalistischen Sorgfaltsmaßstab des § 29 Mediengesetz (MedienG) vermittelte. Der Richter kam auf dieser Basis zum Schluss, Sigi Maurer hätte vor Veröffentlichung der Hassnachricht eine Stellungnahme des Bierladenbesitzers einholen müssen.

Nach vorne verlieren – ein Asset strategischer Prozessführung?

Sowohl der Bierladenbesitzer als auch Sigi Maurer haben Berufung angemeldet. Ob rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts also ‚halten‘, wird sich zu einem späteren Zeitpunkt zeigen.

Was abgesehen von den Rechtsmitteln folgte, ist bereits ein kleines Stück feministische Prozessgeschichte: Gemeinsam mit dem Verein ‚Zara‘ (Zivilcourage und Anti-Rassismus Arbeit) hat Sigi Maurer auf den Aufschrei und unzählige Solidaritätsbekundungen reagiert: Ein Rechtshilfefonds gegen Hass im Netz wurde eingerichtet und in weniger als zwei Tagen waren über 100.000 Euro beisammen. Der urteilende Richter des Straflandesgerichtes hat der Staatsanwält*innenschaft inzwischen die Verhandlungsprotokolle übermittelt – wegen des Verdachts einer Falschaussage des Privatanklägers. Und über die parteipolitischen Grenzen hinweg veröffentlichen Politikerinnen Hassnachrichten und sprechen sich für rechtlichen Schutz der Betroffenen aus.

Was passiert währenddessen im Netz? Sigi Maurer bekommt weiter Hassnachrichten. Die beantwortet sie inzwischen mit gleichsam stoischer Ironie: „Sehr geehrter Herr xxx Um meine journalistische Sorgfaltspflicht zu wahren bitte ich Sie, mir einen Identitätsnachweis (Foto eines amtlichen Lichtbildausweises genügt!) sowie eine Bestätigung zukommen zu lassen, dass diese Nachricht tatsächlich von ihnen verfasst und gesendet wurde. Vielen Dank, mit freundlichen Grüßen, Sigi Maurer“ – und veröffentlicht sie postwendend.

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