Vergewaltigung verurteilen! – Reformbedürftigkeit des Sexualstrafrechts

Angesichts der aktuellen Diskussion um die Ereignisse in der Silvesternacht wird ein hartes Durchgreifen gegenüber Sexualstraftätern gefordert. Gesetzeslücken sollen geschlossen, die Missetäter zur Rechenschaft gezogen werden. JA! Endlich eine Öffentliche Debatte zur Reform des Sexualstrafrechts möchte mensch meinen. Ein Reformbedarf des Sexualstrafrechts wird von Frauenrechtler*innen aber schon seit langem thematisiert. Eins ist klar: Eine Instrumentalisierung, um gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen zu hetzten, ist fehl am Platze.

Aktuelle Situation in Deutschland

Sexualisierte Belästigung, Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung gehören bestraft und zwar unabhängig vom Täter*innenkreis. Aktuell ist das aber häufig nicht so. Nicht nur werden mehr als 90%
aller sexuellen Gewalttaten gar nicht erst angezeigt, 87% der angezeigten Taten enden auch noch ohne Verurteilung. Das liegt am unzulänglichen Sexualstrafrecht. Während die sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum schlichtweg nicht strafbar ist, bestehen bei der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung enorme Schutzlücken. Warum ist das so?

Ein Beispiel:
Man stelle sich vor, eine Frau und ein Mann streiten. Er schubst sie durchs Zimmer und zwingt sie trotz ihres verbalen Widerspruchs und abwehrender Körpersprache zum Sex. Ein klarer Fall der Vergewaltigung? Nach der derzeitigen Rechtslage liegt keine Vergewaltigung vor. Die Frau hat keine aktive Gegenwehr geleistet. Wenn die vergewaltigende Person nicht mit „einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben“ droht und auch keine Gewalt anwendet, um den Widerstand des Opfers zu brechen, fehlt es am sogenannten Finalzusammenhang. Nutzen beispielsweise Täter*innen die Angst einer früheren Gewalttat aus, ohne erneut zu drohen, bleiben sie unbestraft. Auch, wenn der entgegenstehende Wille des Opfers deutlich zu erkennen ist. In einem Rechtsstaat ist es ein Skandal, dass ein Verbrechen wie die Vergewaltigung – eine der häufigsten Formen der Gewalt gegen Frauen – kaum bestraft wird. Das zugrunde liegende Problem ist das historisch verankerte Dogma, dass Sex, wenn nicht durch Gewalt und Nötigung erzwungen, suggeriert, dass die Frau „willig“ war. Die derzeitige Rechtslage unterstützt dieses Bild der Frau, die selbst schuld ist, wenn sie sich nicht zur Wehr setzt oder aus anderen Gründen den Sex über sich ergehen lässt. Gesellschaftlich gesehen ist dieser Status Quo aber längst überholt. Die sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen ist common sense. Die Gesellschaft nimmt bei zahlreichen Fällen sexueller Übergriffe eine Vergewaltigung an, rechtlich sind diese aber (noch) nicht strafbar.

Vorschläge zur Ratifizierung der Istanbul Konvention

Das Recht hinkt nicht nur dem gesellschaftlichen Wandel hinterher, sondern steht auch im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtskonventionen. Gemäß Artikel 36 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (Istanbul-Konvention), müssen alle nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt werden. Oben skizziertes Eingangsbeispiel wäre nach der Istanbul Konvention eindeutig eine Vergewaltigung. Deutschland hat die Konvention unterzeichnet und beabsichtigt, diese zu ratifizieren. Da der derzeitige § 177 StGB eben nicht alle nichteinvernehmlichen sexuelle Handlungen abdeckt, muss für eine Ratifizierung das Gesetz geändert werden. Dazu gibt es unterschiedliche Entwürfe. So zum Beispiel der Vorschlag der Grünen Bundestagsfraktion: Sobald die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt wird oder gegen den erkennbar zum Ausdruck gebrachten Willen des Opfers gehandelt wird, liegt eine strafbare Tat vor. Einer Gewaltanwendung oder Nötigungshandlung bedürfte es dann nicht mehr.

Die „NO means NO“-Variante

Der aktuelle Gesetzesentwurf des Justizministeriums hingegen sieht im Grunde nur eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 179 StGB vor, der den sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen betrifft. Der Entwurf des Justizministers macht die Vergewaltigung aber immer noch vom Widerstand des Opfers abhängig. Das ist nicht nur der falsche Ansatz, sondern genügt auch den internationalen Anforderungen nicht. Nicht erst die Gegenwehr macht die Tat zur Straftat. Weiterhin wird von den Opfern verlangt sich zu wehren. Den Täter*innen soll aber nicht zugemutet werden können, zu erkennen, wenn ihr Gegenüber keinen Sex will. Dass die „NO means NO“-Regelung nur zurückhaltend thematisiert wird, legt die Annahme nahe, dass viele immer noch ein konservatives, patriarchalisch geprägtes Bild der sexuellen Selbstbestimmung haben. Es wird befürchtet, durch eine Erweiterung des Sexualstrafrechts sozialadäquates sexuelles Verhalten zu kriminalisieren. Das gängige Paradigma setzt aber nicht voraus, dass nur einvernehmlicher Sex legal ist. Wir alle müssen uns doch fragen: Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Müssen sexuelle Handlungen, die nicht einvernehmlich stattfinden, etwa als sozialadäquat angesehen werden? In der Gesellschaft, in der ich gerne leben würde, zumindest nicht! Dass nicht einvernehmlicher Sex als sozialadäquat anzusehen ist, schlägt sich auch negativ auf das Männerbild nieder. Es setzt ein Männerbild voraus, das ebenso überholt ist wie das weiter oben skizzierte Frauenbild. Zumindest sollte es überholt sein!

Konsequenzen für die Opfer?

Es ist unwahrscheinlich, dass sich der Gesetzesentwurf der Grünen durchsetzt. Sollte dennoch ein
menschenrechtskonformer Ansatz Einzug ins StGB finden, was wären die tatsächlichen
Auswirkungen? Es bestünde noch immer ein riesiges Beweisproblem. In den meisten
Vergewaltigungsfällen besteht eine „Aussage-gegen-Aussage“-Konstellation. Das Urteil muss „in
dubio pro reo“, also im Zweifel für den Angeklagten, ergehen. De facto wird sich mit der Reform
des § 177 StGB – sei es mit Paradigmenwechsel oder nicht – die Verurteilungsquote wahrscheinlich
nicht erhöhen.

Dennoch: Aktuell erfolgt die Einstellung des Verfahrens in zahlreichen Fällen nicht wegen Mangel an Beweisen, sondern wegen der Nichterfüllung des Tatbestands. Bei einer Gesetzesänderung, die beispielsweise eine „NO means NO“-Regelung vorsieht, wäre das anders. Die Tat wäre vielleicht nicht nachweisbar, und demnach nicht verurteilbar. Die Opfer müssten in den Urteilen dann aber wenigstens nicht mehr die Manifestation sehen, dass die Tat kein Unrecht darstellt.

„YES means YES“-Reformansatz

Der aktuelle Reformansatz des Bundesjustizministeriums will die Schutzlücken zwar schließen. Ein Blick in andere Länder zu wagen und einen Reformansatz zu thematisieren, der in der derzeitigen Debatte keinerlei Rolle spielt, würde hingegen einen nötigen Paradigmenwechsel für eine tatsächliche sexuelle Selbstbestimmung aller begünstigen. Am heutigen Dienstag wird Prof. Stuart P. Green von der Rutgers School of Law an der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin über die Erfahrungen mit diesem „YES means YES“ Ansatz im amerikanische Recht sprechen. Nach diesem werden sexuelle Handlungen nur dann als legal angesehen, wenn ein Einverständnis vorliegt, die Beweislast trägt die*der Täter*in. Hoffen wir auf erhellende Momente – für die aktuelle instrumentalisierende Debatte um die Silvesternacht in Köln und für eine Reform des Sexualstrafrechts, die sexuelle Selbstbestimmung ernst nimmt.

Über die (Un-)Verständlichkeit des Neins.
Du sollst nicht töten