US-Supreme Court entscheidet für die Menschenrechte: Internationale Organisationen sind nicht länger durch absolute Immunität geschützt

Am 27. Februar 2019 entschied der Supreme Court, dass internationale Organisationen keine absolute Immunität nach dem International Organizations Immunities Act of 1945 genießen.

Der International Organizations Immunities Act (IOIA)

Der IOIA gewährt Internationalen Organisationen (IO) und ihren Mitarbeitenden bestimmte Ausnahmen, Vorrechte und Immunität, die anderen Organisationen und deren Mitarbeitenden nicht gewährt werden. Weiterhin werden ihnen ähnliche Leistungen gewährt wie ausländischen Regierungen. So werden IO und ihre Mitarbeitenden beispielsweise von bestimmten Steuern befreit und ihr Eigentum darf nicht durchsucht und auch nicht beschlagnahmt werden. Unter Eigentum fallen alle Vermögenswerte.

Zudem darf weder gegen die IO noch gegen ihre Mitarbeitenden eine Klage eingereicht werden. Der IOIA soll gewähren, dass keine Gerichte unangemessen in die Arbeit der IO eingreifen. Der den Act erlassende Senat war der Ansicht, dass sie so effektiver arbeiten und ihre Ziele erreicht werden könnten.

Um von dem IOIA geschützt zu werden, müssen die IO internationale öffentliche Organisationen sein. Ursprünglich mussten die USA diesen IO aufgrund von Verträgen angehören. Inzwischen genügt es für die IO, dass die USA mit ihr zusammenarbeitet, um durch den Act geschützt zu sein. Unter den IOIA fallen beispielsweise die Food and Agriculture Organization, die International Labor Organization sowie die Vereinten Nationen.

Der Fall Budha Ismail Jam, et al, Petitioners v International Finance Corp

Die im Fall Budha Ismail Jam et al, Petitioners v International Finance Corp angeklagte Institution, die International Finance Corporation (IFC), ist die private Kreditgeberin der Weltbank und spielt bei der Finanzierung privatwirtschaftlicher Entwicklungsprojekte in Entwicklungsländern eine entscheidende Rolle. Da sie nur in Projekte investiert, die ohne ihre Hilfe kein ausreichendes Kapital heranziehen könnten, hat sie einen immensen Einfluss auf die Art und Weise, wie die von ihr finanzierten Projekte umgesetzt werden.

Die erklärten Ziele der IFC sind die Beseitigung von Armut und somit die Förderung des gemeinsamen Wohlstands. Betont wird dabei, dass besonders Initiativen, die in Querschnittsbereichen wie dem Klimawandel agieren, unterstützt werden sollen. Die IFC bewertet die Umwelt-, Sozial und Führungspraxis der Unternehmen, die sie mit dem Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen und das Leben von „Millionen von Menschen“ langfristig zu verbessern, unterstützt. Folglich stellt die IFC eine durch den IOIA geschützte Internationale Organisation da.

Im Jahr 2008 verlieh die IFC 450 Millionen Dollar an Coastal Gujarat, ein Energieunternehmen mit Sitz in Indien. Das Darlehen diente der Finanzierung des Baus eines Kohlekraftwerks. Im Jahr 2015 verklagte eine Gruppe von Bauern und Fischern, die in der Nähe des Kraftwerks lebten, die IFC vor einem US-amerikanischen Bezirksgericht.

Sie trugen vor, dass die Verschmutzung durch die Anlage einen Großteil der Umgebungsluft, des Bodens und des Wassers zerstört oder verunreinigt habe. Dadurch wurden natürliche Ressourcen zerstört, auf die Generationen von lokalen Familien für ihren Fischfang, die Landwirtschaft und Tierhaltung angewiesen sind.

Ihre Aussage stützen die Kläger auf einen Abschlussbericht der IFC, aus dem hervorging, dass Coastal Gujarat weder den Umwelt- noch den Sozialaktionsplan eingehalten hatte. Zudem hatte IFC das Projekt nicht ausreichend überwacht.  Die Kläger beschuldigten IFC der Fahrlässigkeit, Belästigung und Vertragsverletzung. Sie ziehen damit ein internationales Finanzinstitut, das seit seiner erstmaligen Bewertung 1989 von der Kreditranking Agentur Standard & Poor’s ausschließlich mit AAA bewertet wurde, dafür zur Verantwortung, dass es schädliche Projekte finanziert und sogar erst möglich macht.

Die IFC leugnete den Schaden nicht, argumentierte aber, sie sei aufgrund des IOIA immun. Dem stimmte das Bezirksgericht, zu woraufhin die Angelegenheit in Berufung ging und vor dem Supreme Court landete.

Der Supreme Court beschäftigte sich zunächst mit der Frage, ob die IOIA Internationalen Organisationen die Art von Immunität gewährt, die Staaten zugesprochen worden war, als der IOIA erlassen wurde oder ob ihre Immunität die veränderte und vergleichsweise begrenzte Immunität, die Staaten heute genießen, wiederspiegeln sollte.

Die fragliche Passage in Titel I Sec 2 (b) fordert, dass internationale Organisationen die gleiche Immunität vor Klagen und jeder Form von Gerichtsverfahren wie ausländische Regierungen genießen. Während 1945 der Souveränitätsgrundsatz herrschte, wonach jeder Staat absolute Immunität besaß, besteht heute innerhalb der internationalen Gemeinschaft Einigkeit darüber, dass Staaten, die gegen Ius Cogens Normen verstoßen, für ihre Handlungen Verantwortung übernehmen müssen und keine absolute Immunität mehr besitzen.

Der Supreme Court sprach sich dafür aus, dass die Immunität von Internationalen Organisationen der Immunität von Staaten zum heutigen Zeitpunkt gleichen sollte. Bei dem Hinweis auf „ausländische Regierungen“ handle es sich um einen allgemeinen Vergleichsverweis und nicht auf einen Verweis auf damaliges Recht. Folglich muss der IOIA so verstanden werden, dass er die Immunität von Internationalen Organisationen mit dem Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA) verknüpft, der die Immunität von Drittstaaten bestimmt.

Eine historische Entscheidung

Die Entscheidung des Supreme Court markiert einen entscheidenden Moment für die IFC und die Weltbankgruppe. Schon während der Anhörung hatte IFC argumentierte, dass eine eingeschränkte Immunität dazu führen würde, dass eine Vielzahl weiterer Klagen gegen die IFC hervorgebracht werden würden. Tatsächlich hat die IFC in den letzten Jahren einige leichtsinnige Kreditprojekte vorgenomme, die innerhalb der betroffenen Gemeinschaften zu schweren Menschenrechtsverletzungen führten.

Entsprechend freudig wurde das Urteil von Menschenrechtsgruppen als ein richtungsweisendes Urteil begrüßt, das einen wichtigen Schritt darstelle, um die Weltbank für die negativen Auswirkungen ihrer Investitionen verantwortlich zu machen.

Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Kläger noch einiges vor sich haben. Sie müssen noch beweisen, dass zwischen den kommerziellen Tätigkeiten der IFC und dem beklagten Schaden ein Zusammenhang besteht. Wie lang sich diese Verhandlungen ziehen werden, ist noch ungewiss. Feststeht, dass das Urteil zeigt, dass der Schutz von Menschenrechten immer mehr Zuspruch gewinnt.

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