Abgeordnete in deutschen Landtagen verwenden explizit rassistische Sprache − und es ist nicht einmal zulässig, sie dafür zur Ordnung zu rufen: So hat es das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 19.12.2019 entschieden.
Die Entscheidung führt einmal mehr die unzureichende Sensibilisierung und mangelnde Kompetenz der deutschen Justiz im Umgang mit rassistischen Äußerungen vor Augen − und gibt gleichzeitig besorgniserregende Einblicke in die derzeitige parlamentarische Debattenkultur.
Was ist vorgefallen?
In der entsprechenden Plenardebatte vom 25.10.2018 ging es um einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Leistungsmissbrauch verhindern: Sachleistungen für Asylbewerber und Ausreisepflichtige“. Im Verlauf dieser Debatte gebrauchte der AfD-Abgeordnete Nikolaus Kramer in verschiedenen Zusammenhängen das N-Wort. Zunächst benutzte er das Wort im Rahmen eines Zwischenrufs während der Rede einer anderen Abgeordneten. In seinem eigenen Redebeitrag kam Kramer dann auf seine Aussage zurück und bekräftigte, dass er den Ausdruck bewusst gewählt habe, da er sich nicht vorschreiben lasse, welche Wörter hier Schimpfwörter seien.
Im weiteren Verlauf seiner Rede verwendete er den Begriff noch mehrfach. Gegen Ende der Sitzung wies er im Rahmen einer persönlichen Bemerkung nach § 88 der Geschäftsordnung des Landtags selbst darauf hin, dass sein Zwischenruf möglicherweise unparlamentarisch gewesen sei; er benutze das Wort nun bewusst nicht noch einmal, um keine weitere Empörungswelle loszutreten.
Auch drei weitere Abgeordnete von den Fraktionen der LINKEN und der SPD verwendeten das N-Wort in ihrer Gegenrede − zunächst in Reaktion auf Kramers Äußerungen, zweimal griffen Abgeordnete den Ausdruck selbst wieder auf.
Die Landtagsvizepräsidentin Dr. Schwenke erteilte in der Sitzung vom 21.11.2018 nachträglich einen Ordnungsruf an den Abgeordneten Kramer, gegen den er sich nun im Wege eines Organstreitverfahrens erfolgreich gerichtlich gewehrt hat.
Ergänzend zu dem Ordnungsruf gegen den AfD-Abgeordneten hat die Landtagsvizepräsidentin die Verwendung des N-Worts durch die anderen Abgeordneten zumindest informell gerügt; einem Abgeordneten wurde ebenfalls ein Ordnungsruf erteilt, allerdings dafür, dass seine Zwischenrufe eine persönliche Beleidigung des MdL Kramer dargestellt hätten.
Was steht in dem Urteil?
Das Landesverfassungsgericht entschied, dass der Ordnungsruf an MdL Kramer das Rederecht des Abgeordneten aus Artikel 22 Absatz 1 und 2 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern verletzt habe.
Entscheidend für die Zulässigkeit eines Ordnungsrufes nach § 97 Absatz 2 Satz 1 der Geschäftsordnung des Landtags Mecklenburg-Vorpommern ist, ob „die Würde oder die Ordnung des Hauses“ durch eine Aussage verletzt wurde. Das sei hier nicht der Fall, da der Ordnungsruf pauschal für die Verwendung eines Wortes in unterschiedlichen Kontexten erteilt worden sei. Es überschreite den Beurteilungsspielraum für die Vergabe eines Ordnungsrufes „dass mit ihm die Verwendung des Wortes N[****] allgemein und unabhängig vom Zusammenhang gerügt wird“ (Randnote 24). Denkbar sei eine solche kontextunabhängige Rüge für einen bestimmten Ausdruck nur, wenn „das Wort […] in jedem denkbaren Kontext ausschließlich der Provokation oder der Herabwürdigung anderer dienen kann“ (Rn. 37). Ob der Begriff einen abwertenden Charakter habe, könne nur aus dem Zusammenhang heraus beurteilt werden. Bei Diskussionen um die Verwendbarkeit des Wortes könne der Gebrauch des Wortes laut dem Gericht geeignet sein, zur inhaltlichen Auseinandersetzung beizutragen.
Rassismus
Dabei verkennt das Gericht den inhärent rassistischen Charakter des N-Wortes. Eine Verwendung des N-Wortes durch weiße Personen hat immer und ausschließlich einen beleidigenden und herabwürdigenden Charakter. Die Autorin und Aktivistin Tupoka Ogette formuliert es in ihrem Buch „exit RACISM“ so:
„Das N-Wort ist im rassistischen Kontext entstanden. Es ist eine Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen von weißen Menschen. Das Wort lässt sich nicht von seiner rassistischen Entstehungsgeschichte entkoppeln.“
Auch wer in der Frage nach der legitimen Verwendung eines Wortes den entsprechenden Ausdruck gebraucht, nimmt die Antwort ja bereits vorweg − und trägt insofern allein durch das Aussprechen des Wortes argumentativ nichts Neues bei.
Zudem gilt im konkreten Fall: Selbst wenn man anerkennen würde, dass der Gebrauch in einer abstrakten Diskussion der Begrifflichkeit legitim sein könnte, bleibt die Feststellung des Gerichts, dass es sich hier um eine solche Diskussion gehandelt haben soll, unverständlich. Denn der AfD-Abgeordnete hat eben nicht, wie das Gericht behauptet, in „seiner Rede ganz grundsätzlich die Verwendbarkeit des Wortes N[****]“ (Rn. 39) aufgeworfen. Er hat lediglich seine vorherige Verwendung des Begriffs bekräftigt und damit selber verdeutlicht, dass ihm dessen herabwürdigender Charakter sehr wohl bewusst ist. Ansonsten hätte er eine Rechtfertigung, dass er sich nicht „vorschreiben lasse, was hier Schimpfwort sei“ gar nicht für nötig gehalten. Noch viel weniger hätte er in einer persönlichen Bemerkung von sich aus erklärt, dass sein Zwischenruf möglicherweise unparlamentarisch gewesen sei.
Jedoch ist nicht nur das Gerichtsurteil selbst hochproblematisch, sondern ebenso der Verlauf der Debatte an sich bzw. die Reaktionen einiger Abgeordneter auf die rassistische Hassrede des AfD-Abgeordneten. Denn in ihrem − nachdrücklich geäußerten − Widerspruch kamen mehrere Abgeordnete selbst nicht ohne die Verwendung des N-Worts aus.
Als Antwort auf rassistische Aussagen ebendiese zu reproduzieren und damit zumindest den Ausdruck an sich in gewisser Weise zu legitimieren, stellt keine angemessene Reaktion auf solche Äußerungen dar. Es ist symptomatisch dafür, dass auch bei Abgeordneten anderer Fraktionen ein nur unzureichendes Wissen über einen diskriminierungssensiblen und rassismuskritischen Umgang mit Sprache vorhanden ist − so als sei dies ausschließlich ein Problem von AfD-Abgeordneten, gegen das sie per Fraktionszugehörigkeit immun seien.
Rechtliche Anerkennung des N-Worts als rassistisch!
Als Reaktion auf das Urteil startete die Aktivistin Charlotte Nzimiro eine Petition, in der die rechtliche Anerkennung des Begriffs als rassistisch gefordert wird und die bereits von über 90.000 Unterstützer*innen unterschrieben wurde.
Es ist traurig, dass diese Petition überhaupt erforderlich ist. Wie auch Anna Katarina Mangold und Sinthiou Buszewski in ihrem Beitrag auf dem Verfassungsblog hervorheben, ist rassistische Abwertung nach Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG aller Staatsgewalt untersagt. Wenn ein Landesparlament diese Bindung mit einem Ordnungsruf umsetzt, hätte das Landesverfassungsgericht nicht auf der Grundlage eines mangelhaften Rassismusverständnisses intervenieren sollen.