Am 04.06.2020 wurde das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) beschlossen. Ziel des Gesetzes ist die „tatsächliche Herstellung und Durchsetzung von Chancengleichheit, die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung sowie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt“ (§ 1 LADG). Berlin schließt damit als erstes Bundesland einige bestehende Lücken im Antidiskriminierungsrechtsschutz. Durch das LADG wird Verfassungsrecht (Art. 3 GG) konkretisiert und ausformuliert und EU-Recht (RL 43/2000/EG) normativ festgehalten. In der Beschlussfassung des Rechtsausschusses wird deutlich, dass dadurch rechtliche Stabilität und Sicherheit gewährleistet werden soll, die sowohl den Bürger*innen, als auch den öffentlichen Institutionen zu Gute kommt – inklusive der Polizei.
Alltagsrassismus als Ausgangspunkt – Das LADG als notwendige Ergänzung zum AGG
Das LADG gilt für eine Vielzahl von Diskriminierungserfahrungen, u.a. verbietet es Diskriminierungen wegen rassistischer Zuschreibungen (§ 2 LADG). Es ist daher auch im Bereich des strukturellen und institutionellen Rassismus anwendbar.
Ein UN-Expert*innengremium, das im Jahr 2017 während der UN Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft (2015-2024) Deutschland besuchte, benannte ein systemimmanentes Rassismusproblem. Der Begriff Alltagsrassismus beschreibt, dass bei vielen Menschen Rassismuserfahrungen Normalität sind. Das Herunterspielen oder Leugnen dieser schrecklichen Realität ist nicht nur verletzend, sondern dient auch der gefährlichen Normalisierung und Perpetuierung des Rassismusproblems. Dies stellte auch das UN-Expert*innengremium fest.
Ein Beispiel von Alltagsrassismus trug sich Anfang Juni kurz nach den friedlichen Anti-Rassismus Demonstrationen in Deutschland – bei welchen es ebenfalls zu polizeilichen Ausschreitungen kam – zu. In einer Berliner Rossmann-Drogerie wurde eine Schwarze Frau sowohl von einer Mitarbeiterin als auch von der Polizei rassistisch diskriminiert.An diesem Fall wird das wichtige Zusammenspiel des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und des LADG deutlich.
Die von der Rossmann-Mitarbeiterin ausgehende Diskriminierung fällt in den Anwendungsbereich des AGG (§§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 8, 19 Abs. 2 AGG), während gegenüber der Polizei das LADG gilt (§§ 2, 3 LADG). Das AGG entfaltet im Bereich der Erwerbstätigkeit sowie im Privatrechtsverkehr Wirkung, zu Lasten einer unvollständigen Umsetzung der EU-Richtlinien jedoch nicht im öffentlichen Bereich. Der rechtliche Diskriminierungsschutz ist also insgesamt durch das LADG umfassender und stellt eine notwendige Ergänzung dar. Auch bezüglich der Rechtsfolgen und der Rechtsdurchsetzung bietet das Gesetz besseren Rechtsschutz: Gemäß § 14 LADG wird eine weisungsunabhängige Ombudsstelle eingerichtet, an die sich im Diskriminierungsfall jede Person wenden kann und der außerdem ein Beanstandungsrecht zustehen soll. Die Ombudsstelle unterstützt Personen mit Hilfe von Informationen und Beratung bei der Rechtsdurchsetzung des LADG. Darüber hinaus enthält das LADG wichtige Instrumente der kollektiven Rechtsdurchsetzung. Anerkannte Antidiskriminierungsverbände können nach § 9 LADG Betroffene prozessstandschaftlich bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen und erhalten ein Verbandsklagerecht für Fälle, in denen Verwaltungshandeln nicht nur im Einzelfall gegen das Diskriminierungsverbot verstößt.
In dubio pro…? Der Staat ist nicht unschuldig.
Das LADG findet weder ausschließlich noch primär, sehr wohl aber neben beispielsweise dem öffentlichen Bildungsbereich auch gegenüber der Polizei Anwendung. Es wird vor allem in diesem Kontext sehr stark kritisiert. Einige Bundesländer sprachen ein Absehen von Amtshilfe für die Berliner Polizei an, obwohl gem. § 8 Abs. 2 des Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) das Land Berlin bei Fehlern auswärtiger Polizeidienstkräfte haftet. Seit der Innenministerkonferenz am 19.06.2020 ist das vom Tisch. Unter anderem sprechen die Gegner*innen des Gesetzes von einem Verstoß gegen eine vermeintliche Unschuldsvermutung gegenüber der Polizei im Sinne einer Beweislastumkehr. Dabei wird Folgendes missachtet: Da für staatliches grundrechtsrelevantes Eingriffshandeln stets das Gebot der Verhältnismäßigkeit gilt und Rechtfertigungsbedarf besteht, kann im Polizeirecht nicht von einer generell bestehenden Unschuldsvermutung gesprochen werden. Zudem regelt das LADG keine Beweislastumkehr, sondern eine Beweiserleichterung. Die in § 7 LADG normierte Vermutungsregelung setzt stets vor einer Widerlegungspflicht seitens der öffentlichen Stellen die Glaubhaftmachung einer Diskriminierung seitens der Betroffenen voraus. Schließlich setzt das LADG damit die Anforderungen der EU-Richtlinien (Artikel 8 der RL 2000/43/EG und Artikel 9 der RL 2004/113/EG) um. Wie ohnehin rechtsstaatlich geboten, wird die Verwaltung durch das LADG ausdrücklich dazu angehalten, ihr Handeln nachvollziehbar und transparent zu gestalten.
Generalverdacht gegen die Polizei?
Zwar wird teilweise anerkannt, dass es in allen gesellschaftlichen Bereichen Alltagsrassismus gibt, jedoch monieren Kritiker*innen, die Bezugnahme spezifisch auf die Polizei sei ein ungerechtfertigter Generalverdacht. Dagegen lässt sich einwenden: Sollte nicht gerade die Polizei, die Staatsgewalt ausübt und als Teil des Rechtsstaates Gesetzen Geltung verleihen soll, diskriminierungsfrei oder mindestens diskriminierungskritisch handeln (wollen)?
Durch das LADG und durch Hinweise auf institutionellen Rassismus auch in der Polizei wird rechtmäßige Arbeit der Institution nicht diskreditiert. Vielmehr diskreditieren diejenigen, die berechtigte Hinweise auf Rassismus lediglich als Diskreditierung qualifizieren, die Realität der Menschen, die diesen Rassismus strukturell erleben. Nicht der Hinweis auf den Rassismus stellt das Problem dar, sondern die rassistischen Strukturen selbst.
Was ist institutioneller Rassismus?
Was heißt es eigentlich, wenn von rassistischen Strukturen und institutionellem Rassismus gesprochen wird? Die Rassismusforschung bezeichnet Rassismus als die „Verknüpfung von rassistischem Vorurteil mit institutioneller Macht“. Es geht also nicht nur um persönliche Einstellungen, sondern um ein System. Eine Handlung kann auch unabhängig von der dahinterstehenden Absicht rassistische Effekte haben, denn Rassismus tritt nicht nur in Form von intentionaler Diskriminierung auf. Damit wird kein Rassismus-Generalverdacht bei allen Polizist*innen suggeriert – vielmehr wird der Tatsache, dass nicht jede*r Polizist*in rassistisch ist, durch das Adressieren der strukturellen Dimension Rechnung getragen. Dieses Verständnis ist insbesondere auch mit der menschenrechtlichen Definition von rassistischer Diskriminierung vereinbar, bei welcher es nicht nur auf das Ziel, sondern auch auf die Folge einer Maßnahme ankommt. Wenn Personen, die keine Rassismuserfahrungen machen und sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen, ein (institutionelles) Rassismusproblem nicht sehen, ist das im Rahmen ihrer fälschlicherweise beanspruchten Deutungshoheit nicht allzu verwunderlich. Durch das kategorische Zurückweisen von bestimmten Hinweisen auf Rassismus kann dem Problem nicht begegnet werden, da die Realität vieler Menschen in Deutschland dadurch schlichtweg aberkannt wird.
Der wirkliche problematische Generalverdacht
Die rassistische Diskriminierung Schwarzer Menschen hat in Deutschland eine lange Geschichte. Seit Jahrzehnten berichten Menschen auch von rassistischem Polizeihandeln. Allein in den letzten 30 Jahren (1990-2020) konnte die Recherchegruppe der Kampagne „Death in Custody“ 159 Fälle zusammentragen, in denen nicht-weiße Personen in staatlicher „Obhut“ ihr Leben verloren oder durch die Polizei getötet wurden. In den letzten Jahren wurden auch in der Polizei immer wieder rassistische Rechtsextremist*innen bekannt. Ferner findet über Racial Profiling durch die Polizei die Kriminalisierung nicht-weißer Menschen statt, die historisch, gesellschaftlich und auch institutionell wirkt. Dies schildern auch Initiativen, Erfahrungs- und Forschungsberichte sowie Gerichtsverfahren. Der wirkliche Generalverdacht, der vorherrscht und nach dem die Polizei auch handelt, ist der rassistische Generalverdacht gegen nicht-weiße Menschen. Empörung über sowie Handlung gegen rassistische Strukturen selbst sind angebracht, nicht Empörung über den Hinweis darauf.
Insgesamt nimmt nach dem Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) die Anzahl von gemeldeten Fällen rassistischer Diskriminierung in Deutschland erheblich zu. Der Bericht verdeutlicht auch die Notwendigkeit eines LADG, da bei zahlreichen Beratungsanfragen nicht das AGG anwendbar war, sehr wohl aber das LADG anwendbar gewesen wäre. Statistisch ist das wahre Ausmaß von Deutschlands anti-Schwarzem Rassismusproblem nicht erfasst. Durch den Afrozensus, mit dessen Hilfe „erstmals die Lebensrealitäten, Diskriminierungserfahrungen und Perspektiven Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen in Deutschland erfasst werden, soll dieser stark von intersektionaler Diskriminierung betroffenen Bevölkerungsgruppe in Deutschland endlich die für eine bessere Interessenvertretung notwendige Sichtbarkeit“ ermöglicht werden.
Nur Einzelfälle?
Bei rassistischer Polizeigewalt wird häufig von Einzelfällen gesprochen. Dieses Narrativ – welches bereits aus quantitativen Gründen fehlerhaft ist – lässt außer Acht, dass jeder einzelne Fall eine schwerwiegende Verletzung elementarer Menschenrechte der Betroffenen und rechtstaatlicher Prinzipen ist. Jeder Fall ist Symptom eines systemischen Rassismusproblems. Unabhängig davon ist das LADG jedenfalls auch eine Rechtsgrundlage für das Entgegenwirken ebendieser „Einzelfälle“.
Auf wessen Vertrauen in die Polizei kommt es an?
Einige äußern, dass eine Folge des Beschlusses des LADG ein Vertrauensverlust gegenüber der Polizei sein könnte. Doch wessen Vertrauen ist da eigentlich gemeint? Das Vertrauen der Menschen, die Betroffene rassistischen Polizeihandels sind, kann es jedenfalls nicht sein. Denn wenn diskriminierendes Handeln durch Beamt*innen rechtliche Konsequenzen hat, erhöht das eher das Vertrauen in staatliche Institutionen. Mit dem LADG kann den Ursachen berechtigten Misstrauens, hervorgerufen etwa durch rassistische Polizeigewalt, auf rechtlicher Ebene entgegnet werden. Die gesamte Gesellschaft – nicht nur weiße Menschen – sollte in staatliche Institutionen vertrauen können. Ohne effektiven Diskriminierungsschutz wird bestimmten Menschen in der Gesellschaft ein solches Vertrauen deutlich erschwert.
Das LADG ist also in erster Linie eine Gelegenheit Vertrauen zu stärken und keine Anschuldigung.
Das LADG ist eine wichtige Maßnahme für den Kampf gegen die Rassismus-Pandemie
So wie es zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geboten ist, auf Expert*innen zu hören, so ist es bei der Rassismus-Pandemie geboten auf Betroffene zu hören. Die Leugnung der Existenz eines Problems führt nicht dazu, dass es verschwindet. Im Gegenteil: Sie fördert die Verbreitung und steht einem effektiven Entgegenwirken im Weg.
In einer von der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte veranstalteten Podiumsdiskussion zum LADG wurde festgehalten: Das LADG bietet von Diskriminierung betroffenen Personen grund- und menschenrechtlich gebotenes „juristisches Handwerkzeug“. Wenn das Ziel wirklich ist, dass auch bei Institutionen wie der Polizei „Null Toleranz“ für Rassismus gilt, dann ist das Berliner LADG als eine Chance zu sehen, diesem Anspruch gerechter zu werden und nach ihm zu handeln.