Wer kontrolliert die Polizei?

Seit 1996 fordern verschiedene Menschenrechts-Organisationen die flächendeckende Einrichtung unabhängiger Polizei-Beschwerdestellen in Deutschland. Knapp zwölf Jahre später hat die Berliner Landesregierung nun entschieden, eine*n Bürger*innen- und Polizeibeauftragte*n einzusetzen. Die Pläne gehen jedoch absolut nicht weit genug. Die geplante Beschwerdestelle ist weder unabhängig noch im Sinne von Betroffenen ausgestaltet. Deutschland sollte sich daher für Kritik, Empfehlungen und Best-Practice-Beispiele öffnen und könnte von der Independent Police Monitor Susan Hutson aus New Orleans lernen.

Wen kontrolliert die Polizei?

Zahlreiche ungeklärte Tötungen, begangen durch Polizist*innen in Deutschland in den vergangenen Jahren, hinterlassen Angehörige, Freund*innen und Unterstützer*innen in Wut und Trauer. Ermittlungen werden manipuliert und eingestellt, Täter*innen nicht verfolgt, die Hinterbliebenen verhöhnt und kriminalisiert. Auch in Berlin reißen die Meldungen seitens der Opfer und ihrer Angehörigen über unzureichende Polizeiarbeit nicht ab. Diskriminierende Polizeipraxen wie Racial Profiling, aber auch Herabwürdigungen, Verletzungen und vorurteilsbelastete Ermittlungsarbeit sind Alltag für Menschen in dieser Stadt. Allein der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) liegen seit 2000 über 200 Berichte zu mutmaßlichem polizeilichem Fehlverhalten vor.

Die in Berlin geplante Beschwerdestelle

Die Berliner Landesregierung plant nun, diesem skandalösen Zustand mit der Einrichtung einer Stelle zu begegnen, die an das Modell in Rheinland-Pfalz angelehnt sein soll. Der*die rheinland-pfälzische Bürger*innebeauftragte ist beim Landtag angesiedelt und gleichermaßen für Bürger*innenbeschwerden wie Anliegen von Polizist*innen zuständig. Diese Ausgestaltungspläne gehen jedoch nicht weit genug und laufen Gefahr, das Ziel gänzlich zu verfehlen.

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen üben starke Kritik am vorgesehenen Modell, das insbesondere in seiner Unabhängigkeit nicht weit genug geht. Betroffene haben nach einem polizeilichen Übergriff meist kein Vertrauen mehr in die Institution Polizei. Außerdem sind vorrangig Personen von polizeilichem Fehlverhalten betroffen, die ohnehin in der Gesellschaft marginalisiert werden, wie beispielsweise von Rassismus betroffene und wohnungslose Menschen. Für sie ist die Hemmschwelle sehr groß, sich an eine Beschwerdestelle zu wenden, die bei einer Behörde angegliedert ist und personell mit weißen deutschen Ex-Politiker*innen oder Ex-Polizist*innen besetzt ist.

Im internationalen Vergleich gibt es bereits gut funktionierende unabhängige Beschwerdestellen. Dazu zählt die Beschwerdestelle Independent Police Monitor in New Orleans unter der Leitung von Susan Hutson. Sie kann für die Ausgestaltung der Berliner Polizeibeschwerdestelle als Best Practice-Beispiel herangezogen werden.

KOP hat deshalb gemeinsam mit dem arbeitskreis kritischer jurist*innen (akj) der HU Berlin Susan Hutson aus New Orleans und Eric Töpfer aus Berlin zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung eingeladen. Außerdem diskutierten Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen über die Ausgestaltung einer Polizeibeschwerdestelle im Sinne von Betroffenen: Amaro Foro e.V., Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Berliner Obdachlosenhilfe, KOP.

Vertrauen in die Beschwerdestelle?

Susan Hutson richtet die Frage an das Podium, wie eine Beschwerdestelle ausgestaltet sein müsste, damit zivilgesellschaftliche Organisationen und die Betroffenen, die sie vertreten, Vertrauen in sie haben könnten. Die Organisationen zeigen sich demgegenüber skeptisch. Amaro Foro e.V. erklärt, dass alle Mitarbeiter*innen in einer solchen Stelle zunächst ein Sensibilisierungstraining zum Thema Antiziganismus durchlaufen müssten, da Rom*nja in Deutschland häufig von starker Diskriminierung, insbesondere in Behörden, betroffen sind, prekär leben und arbeiten und sich einen aktiven Kampf gegen Diskriminierung selten leisten können. Eine behördennahe Wahrnehmung einer Beschwerdestelle würde den Zugang für die Rom*nja-Community somit unmittelbar erschweren. Das Gleiche trifft laut der Obdachlosenhilfe auch auf wohnungslose Menschen zu, die häufig mehrfach marginalisiert und zudem schwer erreichbar sind. Es wäre also ein niedrigschwelliger Zugang im Rahmen aufsuchender Arbeit und die Möglichkeit anonymer Beschwerden nötig, um ihnen den Zugang zu einer Beschwerdestelle zu ermöglichen. Insgesamt stößt jedoch das Wort „Vertrauen“ bei allen Organisationen auf große Skepsis. Insbesondere die Oury Jalloh-Initiative hat durch eigene Ermittlungen festgestellt, dass deutsche Institutionen sich gegenseitig decken und es unmöglich ist, ein unabhängiges Gutachten oder eine unabhängige Entscheidung zu erlangen. Daraus ziehen sie die Konsequenz, dass eine Beschwerdestelle international gedacht werden müsste, um wirkliche Unabhängigkeit und damit Vertrauen in die Institution zu generieren.

Community-led-Policing

Susan Hutson geht in ihrem Vortrag darauf ein, was von staatlicher Seite im Rahmen einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle dafür getan werden kann, dass die Community (etwa: Gemeinschaft, gesamte Zivilgesellschaft) Vertrauen in die Polizei hat und stellt den Ansatz des Community-led-Policing vor, nach dem sie arbeitet. Bei diesem Modell wird die Polizeiarbeit von der Community angeleitet, sie hat also eine führende Rolle in der Entscheidung darüber, wie polizeilich reguliert werden soll. Dies unterstützt prozedurale Gerechtigkeit und gibt auch betroffenen Menschen eine Stimme, während Polizeiarbeit völlig neu legitimiert wird.

In New Orleans hat dieses Modell dazu geführt, dass im Jahr 2018 keine einzige Person durch die Polizei zu Tode gekommen ist, während dies 2009, als die Beschwerdestelle eingerichtet wurde, häufig der Fall war.

Was heißt unabhängig?

Susan Hutson spricht insbesondere hinsichtlich der Unabhängigkeit für eine zukünftige Berliner Polizeibeschwerdestelle auf Basis ihrer praktischen Erfahrungen und angelehnt an das Modell des Community-led-Policing Empfehlungen aus:

(1) Strukturelle Unabhängigkeit

Es ist geboten, eine hinreichend große Distanz zwischen den ermittelnden Personen und den wegen Fehlverhalten beschuldigten Polizist*innen zu schaffen (institutionelle und hierarchische Unabhängigkeit). Susan Hutson betont weiterhin, wie wichtig es ist, ausschließlich der Community rechenschaftspflichtig zu sein, in der die Polizei handelt (in Deutschland etwa auf Kommunen- oder Länderebene). So darf es beispielsweise nicht wiederum der Staatsanwaltschaft oder der Landespolitik unterliegen, die Beschwerdestelle zu kontrollieren oder bei Missfallen wieder abzuschaffen. Im Fall von New Orleans wird dies dadurch sichergestellt, dass die Arbeit der Independent Police Monitor-Stelle in der städtischen Verfassung niedergelegt ist. Nur eine Art Bürger*innenentscheid, also die Community selbst, könnte die Stelle wieder abschaffen oder die Leiterin der Stelle absetzen. Politiker*innen haben jedoch keinen direkten Einfluss darauf.

(2) Personelle Unabhängigkeit

Außerdem ist es essentiell, dass genügend Personal vorhanden ist, um die Beschwerden überhaupt bearbeiten zu können. Wenn es in Berlin so wie in Rheinland-Pfalz eine einzige Person geben soll, die gleichzeitig Bürger*innenbeauftragte*r und Polizeibeauftragte*r ist, wird diese Stelle ständig überlastet sein und die Beschwerden kaum bearbeiten können.

Des Weiteren ist es wichtig, wie das Personal repräsentationspolitisch aufgestellt ist und welches institutionelle Mindset nach außen getragen wird. So wird es für Betroffene einen entscheidenden Unterschied machen, ob das Personal selbst strukturell von Polizeigewalt und Racial Profiling betroffen ist oder nicht. Das institutionseigene Verständnis über die Nähe/ Ferne zur Polizei, widergespiegelt in den beruflichen Laufbahnen des Personals, spielt in Susan Hutsons Augen ebenfalls eine Rolle für Betroffene und die Arbeit der Beschwerdestelle. So würde sie keine ehemaligen Polizist*innen einstellen- die Beschwerdestelle in Baden-Württemberg wird aber zum Beispiel von einem ehemaligen Polizeipräsidenten geleitet.

(3) Finanzielle Unabhängigkeit

Für die finanzielle Unabhängigkeit der Beschwerdestelle ist es Voraussetzung, dass ihr die Mittel nicht durch die Landespolitik entzogen werden können. Dies hätte nämlich zur Folge, dass Politiker*innen Gewährung und Entzug der Mittel als Sanktionsmechanismus instrumentalisieren könnten. Außerdem muss eine unabhängige Beschwerdestelle natürlich die benötigten Ressourcen und Mittel zur Verfügung haben, um die Beschwerden richtig bearbeiten zu können und zu ermitteln.

(4) Unabhängigkeit der Stimme

Susan Hutson hat unbegrenzten Zugang zu Polizeidatenbanken, Statistiken und Beweismaterial und kann sich weiterhin an Tatorten selbst ein Bild verschaffen. Diese Daten kann sie wiederum in Form von Berichten an die Bürger*innen der Stadt weitergeben und so Missstände publik machen und öffentlichen Druck ausüben. Außerdem kann sie auch Daten und Beweismittel an die Polizei geben und sicherstellen, dass diese verwendet werden, sowie Betroffenen und ihren Familien Zugang zu Daten und Beweisen ermöglichen. Dies ist unbedingt nötig, um die Unabhängigkeit und Effektivität der Beschwerdestelle zu garantieren und um überhaupt eine effektive Arbeit zu ermöglichen.

Aus Betroffenenberichten und den Beiträgen des Podiums ergibt sich die Bilanz, dass die Polizei nicht für alle Mitglieder der Gesellschaft arbeite, sondern restriktiv von oben handele und nur die Interessen bestimmter Gesellschaftsmitglieder vertrete. Es ist dringend notwendig, die Erfahrungen von Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Ausgestaltung einer unabhängigen Polizei-Beschwerdestelle in Berlin einzubeziehen. Susan Hutsons Vorschläge und die Arbeit ihrer Monitoring-Stelle in New Orleans können eine Inspiration für Deutschland sein, endlich flächendeckend unabhängige Polizei-Beschwerdestellen einzurichten, die tatsächlich unabhängig und für die Betroffenen ausgestaltet sind.

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