Am vergangenen Mittwoch (09.03.2016) verkündete das Berliner Netzwerk gegen Diskriminierungen in Schule und Kita (BeNeDisk) auf einer Podiumsveranstaltung ihre Empfehlungen für eine Informations- und Beschwerdestelle für Berlin. Anlass der Veranstaltung war das dort vorgestellte Positionspapier des Netzwerkes, das sich aus verschiedenen Beratungsstellen und Antidiskriminierungsgruppen, wie der Black Diaspora School, dem ADNB des TBB, dem Migrationsrat Berlin-Brandenburg und einigen mehr zusammensetzt. Darin formuliert es die politische und rechtliche Notwendigkeit der Schaffung einer unabhängigen Informations- und Beschwerdestelle für alle an Kita und Schule beteiligten Personen, denen Diskriminierungen widerfahren.
Die Stelle richtet sich folglich an Kitakinder und Schüler*innen, deren Eltern oder Sorgeberechtigte, aber auch an Pädagog*innen und Referendar*innen, Schulleitungen und Verwaltungspersonal. Die Funktion der Stelle ist dem Konzept nach zweigeteilt. Zunächst soll sie jenen dienen, die sich an sie wenden, als Beratungs- und Informationsangebot. Hier werden erste Hilfen gegeben, Kontakte vermittelt und Verfahren erläutert. Nebenbei werden die Anfragen anonym dokumentiert, um den für viele nachfolgende Verfahren so wichtigen Nachweis über das zahlreiche und auch strukturelle Auftreten der Vorfälle erbringen zu können. Anschließend sollen die Betroffenen, sofern gewünscht und aussichtsreich, an die Beschwerdestelle vermittelt werden, deren Aufgabe es ist, den Sachverhalt neutral zu ermitteln, Stellungnahmen der Beteiligten einzuholen und gegebenenfalls zuständigen Stellen geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Nathalie Schlenzka von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die das Papier auf der Veranstaltung kommentierte, betonte insbesondere den Wert von Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit der Stelle als elementare Voraussetzung.
Diskriminierung umfangreich abgedeckt
Der für die zu behandelnden Vorfälle zugrundegelegte Merkmalskatalog ist umfangreich und umfasst entgegen der meisten Antidiskriminierungsvorschriften im Bundes- oder Landesrecht auch dasjenige des sozio-ökonomischen Status. Gerade im schulischen Kontext haben zahlreiche Studien einen Zusammenhang zwischen negativem Erziehungsverhalten oder auch indirekten Diskriminierungen und der sozialen Herkunft von Lernenden belegt. Die Kategorien sollen hierbei, so lobt es auch Nathalie Schlenzka, im Sinne des sogenannten horizontalen Ansatzes alle als gleichgewichtet und rechtebasiert behandelt werden.
Im Anschluss an die Kommentierung diskutierte ein mit beeindruckenden Aktivist*innen besetztes Podium das Papier sowie ihre eigenen Beobachtungen und Erfahrungen bezüglich Diskriminierungen im Bildungsbereich. Anwesend waren die Sozialwissenschaftler*innen Prof. Dr. Iman Attia (Alice Salomon Hochschule) und Joshua Kwesi Aikins (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V., ISD) sowie Dr. Sigrid Arnade (Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. – ISL) und Ben Liehr (Schüler*innenperspektive). Sei es mit Studien, persönlichen Erfahrungen oder der Analyse von Kämpfen – der dringende Bedarf von Beschwerdewegen wurde einstimmig betont. Ohne der Diskussion abträglich zu sein, blieb es allerdings zum praktischen Vorgehen und konkreten Plänen zunächst still auf der Bühne. Das Papier soll Grundlage für Folgeveranstaltungen auch mit Politiker*innen im Berliner Wahlkampf dieses Jahr werden. Welche konkreten finanziellen und rechtlichen Forderungen gestellt werden und welchen Kompromissen man sich verweigern werde, dazu wurde auf dem Podium noch geschwiegen. Kein Wunder, dass gleich drei Stimmen aus dem Publikum Sorge vor einem „zahnlosen Tiger“ äußerten.
Andererseits: Gelingt es die Empfehlungen des Papiers in dieser Form einzufordern und umzusetzen, würde Berlin aus juristischer Sicht lediglich den bereits auf völkerrechtlicher Ebene im Sozialpakt, der UN-Kinder- und der Behindertenrechtskonvention, dem Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen und den Antidiskriminierungsrichtlinien der EU unterworfenen Verpflichtungen gerecht werden. Und dann wäre es auch immer noch erst Berlin – das nach Niedersachsen zweite Bundesland, in dem eine solche Stelle eingerichtet werden würde. Das Vorhaben ist damit ausdrücklich zu begrüßen und zu unterstützen.
Abgrenzung zur internen Anlaufstelle
Besonderes Augenmerk wurde sowohl im Positionspapier als auch im Publikumsgespräch auf den Unterschied zwischen einer zentralen Anlaufstelle und einem schulinternen Beschwerdemanagement gelegt. Für letzteres ist ebenfalls in Berlin mit der Anlaufstelle Antidiskriminierung und Diversity an Schulen (ADAS) jüngst ein Beispiel ins Leben gerufen worden. Das schulinterne Verfahren bringt den Vorteil mit sich, dass die am Konflikt Beteiligten selbst maßgeblich an der Lösung arbeiten, also diejenigen, die sich gegenseitig und die Umstände am besten kennen. Eine zentrale Stelle hat es hingegen leichter jederzeit eine neutrale Außenperspektive zu wahren. Vertreter*innen der ADAS waren am Mittwoch auch anwesend, Kooperation besteht, die Projekte verstehen sich als Ergänzungen zueinander. Denn Fakt ist: Von zu viel Diskriminierungsschutz kann nicht die Rede sein.
Auch konstruktive Kritik gab es. Angemahnt wurde, dass Kinder und Jugendliche selbst auch beteiligt sein müssen, damit solche Institutionen nicht nur für sie, sondern auch in ihrem Sinne geschaffen werden. Ferner muss gewährleistet werden, dass ausreichend und vor allem ausreichend geschultes und sensibilisiertes Personal, das bestenfalls mit eigenen Erfahrungen aufwarten kann, eingestellt wird. Andernfalls droht eine Ausrichtung auf bestimmte Diskriminierungskategorien, während in anderen Bereichen die Ansprechbarkeit fehlt.
Schließlich bedarf es auf nachdrücklichen Hinweis von Dr. Sigrid Arnade und Joshua Kwesi Aikins auch einer umfassenden Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit. Der Schutz und Rückhalt für die Betroffenen ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist das Herantreten an diejenigen, die potentiell diskriminieren können, die sensibilisiert werden müssen, denen Unsicherheit genommen und Denkanstöße geliefert werden müssen, damit sie sich den entsprechenden Fragen selbstreflexiv in ihren Einrichtungen stellen.