Der Kampf der Smombies um Bildungsgerechtigkeit

„Smombie“, Jugendwort des Jahres 2015, beschreibt Kinder und Jugendliche, die durch den stetigen Blick auf ihr Smartphone den Blick für ihre Umwelt verlieren und regelrecht zu Zombies werden. Oft wird ihnen gegenüber der Vorwurf laut, sie wären nur noch online, würden die persönliche Kommunikation vernachlässigen oder sich kaum noch von zuhause fortbewegen. Dann kam 2020 die Pandemie, die genau das von eben jenen jungen Menschen erwartet hat: Unterricht oder Studium möglichst online, lieber telefonieren als sich zu treffen und nur wenn nötig und mit möglichst viel Abstand raus gehen und die Geschäfte des Alltags erledigen. Doch die entsprechenden Online-Angebote waren unzureichend. Die vergangenen Jahre wären genau der Zeitpunkt gewesen, um den Fokus verstärkt auf die Online-Lehre zu legen. Wir hätten das Bildungsangebot barrierefreier und zugänglicher für alle gestalten und die Digitalisierung zu unseren Gunsten verwenden können. Wir hätten im Bildungswesen in ein neues, moderneres und integrierenderes Zeitalter schreiten können. Wir hätten einen Weg weisen können, um Bildungsungleichheit abzubauen. 

Bildungsungleichheit bezeichnet einen systematischen Zusammenhang zwischen dem individuellen Bildungserfolg und der sozialen Herkunft. Bei ihrer Bekämpfung geht es darum, Diskriminierungsmechanismen abzubauen und einen chancengerechten Zugang zu (Bildungs-)Ressourcen, sowie gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Klärungsbedürftig in dieser pandemischen Zeit ist, inwieweit das Recht auf Bildung und die notwendige Gesundheitsfürsorge in Einklang gebracht werden können. 

Auf das Bestehen eines Rechts auf Bildung wies jüngst das BVerfG in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit von Distanzunterricht und Schulschließungen hin. Implizit geht damit ein (staatlicher) Anspruch einher, einen möglichst chancengleichen und barrierefreien Bildungszugang zu gewährleisten. 

Ein Recht auf Bildung – auch im Krisenzustand 

Das Thema Bildung polarisiert und wird als Schlüssel zur persönlichen Entfaltung, Entwicklung und Demokratie gesehen. Umso wichtiger ist es, ein Recht auf Bildung zu sichern und zu wahren. Bereits 1965 stellte der Philosoph Ralf Dahrendorf klar: „Bildung ist Bürgerrecht“. Das Recht auf Bildung ist menschenrechtlich verankert und international anerkannt, wie sich aus verschiedenen völkerrechtlichen Abkommen wie Art. 13 des UN-SozialpaktesArt. 28 der UN-KinderrechtskonventionArt. 2 im 1. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 14 der EU-Grundrechtecharta ergibt. Für die Bundesrepublik bedeutet dies eine staatliche Pflicht, Bildungsrechte zu schützen und zu gewährleisten. Bildung muss frei verfügbar und ausnahmslos für alle zugänglich sein. Sie muss sich den Bedürfnissen der Lernenden anpassen.

Eine Krise bedeutet keine Rechtfertigung, von diesen Zielen und Werten abzulassen.Das Recht auf Bildung sollte nicht unter den äußeren Umständen leiden. Doch Erfahrungswerte und Studien zeigen: So einfach ist es nicht. Es bedarf einer größeren digitalen Verfügbarkeit von technischen und didaktischen Lern- und Lehrangeboten durch die entsprechenden Schulen und Lehrkräfte. Auch ist zu beachten, wie Gruppen aus besonders verletzlichen Situationen, etwa solche mit Sprachbarrieren, bei denen die deutsche Sprache nicht als Erstsprache im familiären Umfeld genutzt wird, besser erreicht werden können. Es gilt, einen kindgerechten Informationsfluss zu ermöglichen und individuelle familiäre Rahmenbedingungen zu bedenken. Und genau dort wird es schwierig, denn strukturelle Barrieren lassen sich aus der Ferne nur schwer beseitigen. Ein Beispiel: Lernende mit Behinderung mussten ihr Recht auf Bildung temporär aussetzen, weil entsprechende pädagogische und digitale Unterstützung fehlte.

Digitale Formate: Welche Bildungsbarrieren begegnen uns? 

Stärker denn je wird während der Pandemie der Einfluss von unterschiedlich ausgestatteten Elternhäusern auf den Bildungserfolg der Kinder deutlich. Ihre Ressourcenausstattung für digitales Lernen und die Unterstützungsmöglichkeiten fallen auseinander. Das Dilemma um fehlende technische Ausstattung zuhause ließe sich durch Leih- oder Mietverträge mit verschiedenen Anbietern überbrücken, aber auch abwechselndes Nutzen bereits vorhandener Geräte wäre denkbar. Fehlt es zum Beispiel an einem Laptop oder Tablet, ist aber ein Smartphone vorhanden, so könnte man dieses in seinen Funktionsweisen erweitern: Schreibprogramme lassen sich auf den neueren Geräten leicht installieren. 

Kritisch zu bewerten sind die Unterschiede in Qualität und Ausstattung der Bildungseinrichtungen, welche nicht selten in Abhängigkeit zur Schulform und Zusammensetzung der Lernenden stehen. Michael Wrase formuliert treffend, dass „die “Brennpunktschule“ zu einer sich selbst reproduzierenden Metapher für soziale Problemlagen und geringe Leistungserwartung“ wird. Im digitalen Rahmen beginnen die Hürden bei der fehlenden Kompetenz im Umgang mit Lern- und Lehrmedien und enden bei der Selbststrukturierung des Tagesablaufs und der Lernprozesse, denn gerade jüngere Lerngruppen brauchen individuelle pädagogische Betreuung. 

Letztlich geht es nicht darum, den Unterricht ausschließlich digital oder online durchzuführen, sondern das bestehende System zu ergänzen, um vor allem dem Gesundheitsschutz entgegenzukommen. Das Bildungssystem sieht sich muss sich der Idee öffnen, den digitalen Möglichkeiten mehr Raum zur Entfaltung zu geben. Immerhin sprechen wir von einer Generation, die mit technischen Geräten, digitalen Inhalten und nahezu unbegrenztem Zugriff auf global aggregiertes Wissen aufgewachsen ist. Von Kurzzusammenfassungen in schriftlicher Form, über Lernvideos bis hin zu Videokonferenz-Tools, bei denen mit der ganzen Welt in Kontakt getreten und gelernt werden kann, ist alles vorhanden. Vor allem werden diese Angebote von den Jugendlichen auch gerne wahrgenommen: Sich spielerisch neue Themen erschließen, andere Reize benutzen und eine andere Welt abseits von staubigen Büchern und langweiligem Frontalunterricht kennenlernen. Doch leider wird dieses Potential von den Schulen zu wenig ausgenutzt und nicht annähernd in der Gänze seiner Möglichkeiten erfasst.

Durch die Pandemie haben wir aufgezeigt bekommen, welche konkreten Baustellen im Bildungssystem behandelt werden müssen. Wir benötigen umfangreichere öffentliche Ausgaben für Schulen. Diese Notwendigkeit zeigen desolate Hygienezustände, marode Gebäude und technische Endgeräte aus dem letzten Jahrhundert. Auch müssen die Bundesländer mehr zusammenarbeiten. Unser bestehendes Bildungssystem ist nicht flexibel anwendbar auf etwaige Abweichungen vom „Normalzustand“, weder auf eine Pandemie noch auf individuellere Situationen, wie (chronische) Krankheiten, die mit einem Fernbleiben vom Unterricht einhergehen. Seine Strukturen sind veraltet und die Ängste vor neuen Methoden omnipräsent, wodurch wir uns die Möglichkeit verbauen, Fortschritte auf allen Ebenen zu erzielen. Infolgedessen leidet der Zugang zu Bildung. Strukturelle Barrieren werden vorgeschoben, aber nicht behoben und teilweise verstärkt durch den (psychischen) Druck, Bestleistungen den Umständen zum Trotz zu erbringen.

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