Die Neuregelung des § 219a StGB – das Informationsverbot bleibt

Bisher war es Ärzt*innen gemäß § 219a Strafgesetzbuch (StGB) verboten, öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Ende März trat die von der Bundesregierung beschlossene Änderung des Paragraphen in Kraft. Ärzt*innen dürfen jetzt zwar auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, machen sich aber mit jeder weiteren Information immer noch strafbar. Für ungewollt Schwangere gibt es also immer noch keinen freien und direkten Zugang zu den erforderlichen Informationen.

Hintergrund

Seit 2017 lassen sich vermehrt Aktivitäten von radikalen Abtreibungsgegner*innen beobachten. Ende des Jahres richtete sich die Aufmerksamkeit auf die zunehmende Anzahl an Anzeigen gegen Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführten und darüber auf ihrer Webseite informierten. Diese Anzeigen stellen ein zentrales Instrument der Abtreibungsgegner*innen dar. Es soll Ärzt*innen einschüchtern und dazu bewegen, keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchzuführen. Ihr Ziel ist es, durch einen Mangel an Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. Ihr Vorhaben zeigt leider Wirkung: In den letzten 15 Jahren wurde ein Rückgang von 40% der Kliniken und Ärzt*innen, die noch Schwangerschaftsabbrüche durchführen, verzeichnet. Dies führt dazu, dass ungewollt schwangere Frauen* in ländlichen Regionen bis zu 100 km weit fahren müssen, um eine*n Ärzt*in ausfindig machen zu können, der*die sie behandelt. Als die Ärztin Kristina Hänel 2017 zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Homepage darüber informierte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchzuführt, entfachte die Debatte über den § 219a StGB.

Die neue Rechtslage

Statt § 219a StGB zu streichen, wie es große Teile der Öffentlichkeit und die Parteien die Linke, Bündnis 90/die Grünen und FDP forderten, konnte im Bundestag nur die Änderung des Paragraphen durchgesetzt werden.  219a StGB sieht nun vor, dass Ärzt*innen auf ihren Webseiten bekannt geben können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Informationen zu Methoden, Fristen, Risiken und weitere Informationen, die für die Entscheidungen der Patient*innen sehr wichtig sind, dürfen sie jedoch auch in Zukunft nicht veröffentlichen. Diese Informationen können weiterhin als unerlaubte Werbung ausgelegt werden. Stattdessen sollen Informationsangebote neutraler Stellen zugänglich sein. Daneben soll eine von der Bundesärztekammer zentral geführte Liste eingeführt werden, die die Ärzt*innen, Krankenhäuser und Einrichtungen aufführen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Ärzt*innen können auf diese Liste verweisen.

Der Kompromiss, der keiner ist

Die Erweiterung des § 219a StGB als „Kompromiss“ zu dessen Streichung ist keine Lösung für die Probleme des § 219a StGB. Die Bundesregierung hält aufgrund des „Lebensschutzes“ und der Vermeidung einer Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Öffentlichkeit am § 219a StGB fest. Der Schutz des sog. „ungeborenen Lebens“ wird jedoch durch die §§ 218 ff. StGB, insbesondere durch die Beratungsregelung, hinreichend gesichert und bedarf nicht des § 219a StGB. Außerdem führt die Annahme, eine sachliche Information oder auch Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch könnte Frauen* eher dazu bewegen, die Schwangerschaft abzubrechen, zu einem problematischen Frauenbild. Dass die Bundesregierung verhindern will, dass Schwangerschaftsabbrüche durch „Werbung“ normalisiert oder kommerzialisiert werden, ist ebenfalls absurd. Derzeit werden in Deutschland rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche jährlich erfasst. Jede vierte Frau* entscheidet sich einmal in ihrem Leben gegen eine Schwangerschaft. Die Frage, ob man eine Schwangerschaft austragen möchte oder nicht, ist für Frauen* Normalität.

Kriminalisierung von Ärzt*innen und Bevormundung von Frauen*

§ 219a StGB ist eine veraltete und gesellschaftlich überholte Regelung, die aus der NS-Zeit stammt. Wenn Schwangerschaftsabbrüche nach den Voraussetzungen der §§ 218 ff. StGB straffrei sind, dann müssen Ärzt*innen über diese Leistung auch öffentlich unterrichten dürfen. Stattdessen werden Ärzt*innen durch die Gesetzesänderung weiterhin für die Aufklärung ihrer Patient*innen kriminalisiert. Das Veröffentlichen von sachlichen Informationen auf Webseiten der Ärzt*innen kann zu einer Geldstrafe oder Freiheitstrafe bis zu zwei Jahren führen. Die exakt selbe Information ist hingegen auf Seiten der Behörden durch die Gesetzesänderung sogar erwünscht. Das zeigt ein eindeutiges Misstrauen gegenüber Ärzt*innen. Diese Kriminalisierung und Stigmatisierung von Ärzt*innen ist ungerechtfertigt und kann nur durch die Streichung des § 219a StGB beendet werden. Das ärztliche Berufsrecht regelt bereits Rechte und Pflichten zu sachgerechter und angemessener Information sowie Verbote von anpreisender, irreführender oder vergleichender Werbung. Außerdem werden durch § 219a StGB Frauen* in ihrem Recht auf Selbstbestimmung und Informationsfreiheit verletzt. Wenn sich Frauen* in der Situation einer ungewollten Schwangerschaft befinden, ist der Zugang zu medizinischer Beratung und einer Auswahl an Ärzt*innen essentiell. Sachliche und verlässliche Informationen sind dabei der erste und wichtigste Schritt. Frauen* müssen Zugang zu hinreichenden Informationen über die Abläufe eines Schwangerschaftsabbruchs haben, um eine freie und selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können. In dieser Entscheidungsphase ist das Internet eine wichtige Informationsquelle. Die geplante Liste der Bundesärztekammer bietet auch keine Alternative für Frauen*. Schon jetzt kann davon ausgegangen werden, dass diese unvollständig sein wird. Sie basiert auf Selbstmeldung der Ärzt*innen. In einem derartigen Klima in Deutschland, in dem sich Leute zum „Hobby“ machen, Ärzt*innen bei einem Verstoß gegen § 219a StGB anzuzeigen, Demonstrationen vor Praxen veranstalten und Ärzt*innen massiv belästigt werden, werden sich wenige auf eine derart öffentliche und leicht zugängliche Liste mit dem Namen und den eigenen Kontaktdaten setzen lassen.

Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

Eine ärztliche Leistung, die bis ins Detail im Strafgesetzbuch geregelt ist, vermittelt, dass ein Schwangerschaftsabbruch etwas Falsches ist. Das führt zur Tabuisierung und Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Gesellschaft. Dadurch nimmt die Bereitschaft von Ärzt*innen, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen weiter ab, sodass eine flächendeckende Versorgung nicht gewährleistet werden kann.

Wir brauchen einen freien Zugang zu Informationen über den Schwangerschaftsabbruch und die Entkriminalisierung und Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.

Dafür muss § 219a StGB gestrichen werden.

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