Im April startete die Initiative ,,Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ mit der Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren. Mit diesem soll der Berliner Senat aufgefordert werden, ein Gesetz zur Vergesellschaftung der Bestände privatwirtschaftlicher Wohnungsunternehmen nach Art. 15 GG auszuarbeiten. Die zunächst erforderlichen 20.000 Unterschriften waren schnell zusammen und die Initiative plötzlich in aller Munde. Die FAZ sprach von der „Wiedereinführung des Sozialismus“ und die FDP beschloss kurzerhand einen Gesetzesentwurf zur Streichung von Art. 15 GG zu erarbeiten. In dem Beschluss wird das Volksbegehren als „verfassungswidrig“ bezeichnet. Doch trifft das zu?
Die soziale und wirtschaftspolitische Sprengkraft der Wohnungsfrage
Die hitzige Diskussion um das Berliner Volksbegehren zeigt die soziale und (wirtschafts-)politische Sprengkraft der Wohnungsfrage, die von den politischen Parteien zu lange ignoriert wurde: in der Hauptstadt leben 85% der Bürger*innen zur Miete, in den letzten 10 Jahren haben sich die Mieten bei Neuvermietungen in Berlin verdoppelt und die Bodenpreise in manchen Innenstadtlagen Berlins laut Berichten vom Vorjahr im 10-Jahres-Vergleich sogar verzehnfacht. Zahlreiche Mieter*inneninitiativen haben sich daher in der Hauptstadt geformt, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Keine der bisherigen Maßnahmen wie die Mietpreisbremse, gesetzliche Vorkaufsrechte oder die Regelungen zur Zweckentfremdung von Wohnraum konnte es ausreichend lösen. Die Lage ist so ernst, dass sogar der Ausschuss zum UN-Sozialpakt die hohen Mietpreise und Mietpreissteigerungen in Deutschland als besorgniserregend bezeichnete und den akuten Mangel an bezahlbarem Wohnraum rügte. Der Ausschuss empfahl der Bundesregierung geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den negativen Auswirkungen auf das Recht auf Zugang zu bezahlbarem Wohnraum infolge der Wohnraumspekulationen entgegenzuwirken. Ist die Vergesellschaftung von Wohneigentum eine davon?
Der Auslöser: Das Unternehmen Deutsche Wohnen in Berlin
Das Volksbegehren zielt auf zehn bis elf Großvermieter mit Gewinnerzielungsabsicht und über 3.000 Wohnungen in Berlin ab, wie die Deutsche Wohnen, Akelius, Vonovia u.a. Genossenschaften und Wohnimmobilien der öffentlichen Hand sollen ausgenommen sein. Zur Verwaltung der Bestände soll eine Anstalt öffentlichen Rechts geschaffen werden.
Auslöser der Initiative war der im MDax gelistete Immobilienkonzern Deutsche Wohnen. Mit 116.000 Wohnungen ist er der größte Vermieter der Hauptstadt, die meisten seiner Wohnungen waren einst Landeseigentum und viele davon Sozialwohnungen. In 2018 konnte das Unternehmen seinen Gewinn aus dem operativen Geschäft im Vergleich zum Vorjahr um 10,9% steigern, auf ein zehnfach höheres Ergebnis als noch 2011. Der Konzern hebt die Dividende für die Aktionäre nun erneut an, Hauptaktionär ist auch hier der amerikanische Vermögensverwalter Black Rock. Das gute Ergebnis des Konzerns ist insbesondere auf das Geschäft mit der Wohnbewirtschaftung zurückzuführen: allein in 2018 ist der Gewinn daraus um 7,1% gestiegen. Die höheren Mieteinnahmen lassen sich nicht nur mit dem größeren Bestand, sondern auch durch umlagefähige Modernisierungen erklären, für die der Konzern dreimal so viel ausgibt wie die kommunale Wohnungsgesellschaften. Nach eigenen Angaben sind mind. 30% der „Sanierungsinvestitionen“ Modernisierungskosten, die an Mieter*innen weitergegeben werden können. Auch die kürzlich erfolgte Gesetzesänderung des § 559 BGB, die den Umlagesatz um lediglich 3 % reduziert, vermag dieses Geschäftsmodell, das wiederum die Höhe des Mietspiegels beeinflusst, wohl kaum eindämmen. Bei Neuvermietungen liegt die Deutsche Wohnen in Berlin sogar deutlich über dem durchschnittlichen Quadratmeterpreis.
Neben den steigenden Vertragsmieten ist das Unternehmen auch wegen Heiz- und Warmwasserausfällen im Winter, Klagen gegen den Berliner Mietspiegel (AZ: 67 S 21/19 und AZ: 63 S 230/16) und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen möglichen Tricksereien beim Vorkaufsrecht bei Berliner*innen in Verruf geraten.
Was ist die rechtliche Grundlage der Vergesellschaftung?
Wichtig ist zunächst, zwischen der Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit nach Art. 14 Abs. 3 GG und der Vergesellschaftung (auch Sozialisierung) aus Art. 15 GG zu unterscheiden. Viele kürzlich angeführten Beispiele für Enteignungen erfolgten zugunsten der öffentlichen Hand auf Grundlage von Art. 14 Abs. 3 GG. Die Berliner Initiative stützt ihr Volksbegehrens dagegen auf Art. 15 GG, der eine Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder eine andere Form der Gemeinwirtschaft erlaubt.
Warum das Volksbegehren für so viel Wirbel sorgt liegt mitunter daran, dass die Forderung so innovativ ist. Denn während des 70-jährigen Bestehen des Grundgesetztes kam es – mit der Ausnahme des gescheiterten Versuchs auf Grundlage einer entsprechenden Vorschrift der Landesverfassung in Hessen – noch nie zu einer Vergesellschaftung nach Art. 15 GG. Und das obwohl der Artikel einst tragender Grund für die SPD war, dem Grundgesetz im Ganzen überhaupt zuzustimmen. Es gibt praktisch keine Rechtsprechung und kaum Literatur zur Vergesellschaftung. Da die Frage „juristisches Neuland“ ist, hat der Berliner Senat drei Rechtsgutachten bei Verfassungsrechtlern in Auftrag gegeben. Alle kommen zu dem Schluss, dass die Überführung von Wohnimmobilien in eine gemeinschaftliche, nicht-gewinnorientierte Form per Gesetz verfassungsrechtlich zulässig ist. Einzig der Verfassungsrechtler Helge Sodan sieht dies in einem Gutachten für den Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen anders.
Anforderungen des Art. 15 GG
Den meisten Kommentator*innen zufolge ist die Vergesellschaftung aus Art. 15 GG kein Sonderfall des Art. 14 GG, sondern ein eigenständiges Rechtsinstitut neben der Enteignung – mit einer anderen Zielsetzung und geringeren Voraussetzungen.
Landesgesetz ausreichend
Die politische Entscheidung einer Vergesellschaftung erfordert zunächst ein formelles Gesetz, das die Überführung in eine Form der Gemeinwirtschaft (z.B. Genossenschaft, Stiftung, Verein etc.) zur dauerhaften Sicherung eines gemeinwirtschaftlichen Zwecks sowie Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Zwar handelt es sich um eine Materie der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG, allerdings hat der Bund von der Kompetenz bisher keinen Gebrauch gemacht, weshalb eine Sperrwirkung entfällt und der Landesgesetzgeber zuständig ist.
Vergesellschaftungszweck: Recht auf angemessenen Wohnraum
Der gemeinwirtschaftliche Zweck ergibt sich für das Berliner Volksbegehren aus der Staatszielbestimmung des Rechts auf angemessenen Wohnraum aus Art. 28 I der Verfassung von Berlin (VvB) und dem daraus folgenden weiten gesetzgeberischen Spielraum.
Wohneigentum als vergesellschaftungsfähiges Gut?
Teilweise wird als ungeschriebene Voraussetzung zusätzlich eine Sozialisierungseignung bzw. Sozialisierungsreife des zu vergesellschaftenden Gegenstandes gefordert. Aufgrund des engen Anwendungsbereichs des Merkmals „Produktionsmittel“ könnte das Merkmal „Grund und Boden“ dahingehend teleologisch zu reduzieren sein, dass Wohneigentum nicht sozialisierungsfähig ist. Jedoch sieht die Mehrzahl der Gutachter kein Problem darin, unter die Begriffe „Grund und Boden“ auch die darauf stehenden Wohnhäuser zu subsumieren.
Verhältnismäßigkeit
Umstritten ist zudem, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen einer Sozialisierung nach Art. 15 GG überhaupt Anwendung findet. Wird dieser verlangt, ergäbe sich die verfassungsmäßige Erforderlichkeit daraus, dass die bisherigen Rechtsinstrumente den angestrebten Vergesellschaftungszweck nicht in gleicher Weise erfüllen. Zwar wird vorgebracht, dass dem Gesetzgeber mildere Mittel wie beispielsweise der rechtsgeschäftliche Erwerb von bis zu zehn der Grundstücke und Immobilien zur Verfügung stünden. Doch widerspricht dies den vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der grundgesetzlichen Vorgaben aus Art. 109 Abs. 3 S. 1 und 5 GG (Schuldenbremse), die ab 2020 gilt. Dass die Maßnahme auch nicht angemessen sei, da sie nur den derzeitigen Mietern und nicht der Allgemeinheit zugute käme, überzeugt nicht. Denn Entsprechendes ließe sich zu Enteignungen für den Airbus-Privatflughafen in Hamburg oder einer Bankenrettung anführen, für die sogar ein strengerer Maßstab gilt.
Bedenken beim Gleichbehandlungsgebot
Bei der Umsetzung ist der Landesgesetzgeber zudem an den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 10 VvB gebunden. Um dem Willkürverbot gerecht zu werden, müsste die Schwelle für die Vergesellschaftungsreife von 3000 Wohnungen daher als sachliches Kriterium empirisch belegt und begründet werden. Größere Bedenken ergeben sich allerdings bei der Differenzierung zwischen privatwirtschaftlichen Unternehmen und den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die die Initiative ausnehmen will. Um eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem zu vermeiden, sollten auch diese der im Gesetzentwurf vorgesehenen Anstalt des öffentlichen Rechts unterstellt werden.
Entschädigung
Die wohl kniffligste Frage um die Berliner Initiative ist die der Entschädigung, deren Art und Umfang das geforderte Rekommunalisierungsgesetz konkret zu bestimmen hat. Zwar verweist Art. 15 Abs. 2 GG hinsichtlich der Entschädigung auf Art. 14 Abs. 3 GG, jedoch wird angenommen, dass der Spielraum des Gesetzgebers aufgrund des besonderen Sozialisierungszwecks bei einer Sozialisierungsentschädigung größer ist als bei der Enteignungsentschädigung. Alle drei vom Senat beauftragten Gutachten kommen (unter Verweis auf BVerfGE 24, 367) somit zum Schluss, dass die Entschädigung nicht die Höhe des Verkehrswerts der Immobilie erreichen müsste. Zur Bestimmung des Ertragswerts wird außerdem angeregt, nur die nach dem Mietspiegel zulässigen Mieten heranzuziehen.
Der Berliner Senat nimmt auf dieser Grundlage Entschädigungskosten von 28,8 bis 36 Milliarden Euro an. Die Initiative rechnet hingegen mit Kosten von 8 bis 14 Milliarden Euro, die kreditfinanziert und aus den Mieteinnahmen zurückbezahlt würden. Nur 20 % der Summe müssten ihrer Ansicht nach sofort aufgebracht werden.
Eröffnung neuer Handlungsoptionen und politisches Druckmittel
Ob das Rekommunalisierungsgesetz tatsächlich kommt und dann auch einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das BVerfG standhält, wird sich zeigen. Denn letztlich steht hinter der Debatte eine viel größere wirtschaftspolitische Systemfrage. Rechtlich wäre es jedoch möglich. Unabhängig davon erweitert das Volksbegehren bereits jetzt auf kreative Weise die Handlungsoptionen in der Wohnungsfrage und bietet auch ein politisches Druckmittel, um den Gesetzgeber endlich zum Handeln gegen Spekulationen mit Wohnraum zu bewegen.