Landraub und Gewalt: Menschenrechtsverletzungen an Indigenen im Namen des Naturschutzes

Weltweit finden im Namen des Naturschutzes gravierende Einschränkungen der Rechte indigener Völker statt. Sie werden unrechtmäßig im Namen des „Naturschutzes” von ihrem angestammten Land vertrieben und der „Wilderei“ bezichtigt, weil sie jagen, um ihre Familien zu ernähren. Ihnen drohen Haft, Schläge, Folter und sogar Tod. Doch es regt sich Protest.

Rechte indigener Völker im Naturschutz

„Wir sind diejenigen, die den Wald beschützen. Solange wir hier sind, wird es ihm gut gehen. Menschen und Tiger können auf dem gleichen Raum leben,“ sagt Sukraam Bhaiya direkt in die Kamera. Auf der Videoplattform Tribal Voice, über die sich Angehörige indigener Völker an die Öffentlichkeit wenden können, erzählt er, wie sich die Baiga in Indien seit Generationen um ihre Umwelt kümmern.

Doch durch die Errichtung von Tigerschutzgebieten werden indigene Völker wie die Baiga von ihren angestammten Gebieten vertrieben. Und die Baiga sind nur ein Beispiel von vielen. In Botswana erleben die Bewohner_innen der Kalahari die Kriminalisierung der Subsistenzjagd in ihren eigenen Jagdgebieten. In Kamerun entstanden auf dem Land der Baka ohne deren Konsultation Naturschutzgebiete. Heute müssen sie die Anti-Wilderei-Einheiten fürchten, die sie misshandeln, schlagen oder sogar töten. Weltweit finden im Namen des Naturschutzes gravierende Einschränkungen der Rechte indigener Völker statt.

Im Februar diesen Jahres wurde nun zum ersten Mal ein OECD-Verfahren unter den Leitsätzen für multinationale Unternehmen eingeleitet, dass sich mit dem Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen unter Beteiligung einer großen internationalen Naturschutzorganisation befasst. In der Beschwerde wird dem WWF vorgeworfen, sich an Menschenrechtsverletzungen an den Baka mitschuldig gemacht zu haben.

Menschenrechtsverletzungen in Kamerun

Die Baka leben seit Generationen auf den Gebieten, auf denen seit Anfang der 90er Jahre Naturschutz-, Abholzungs- oder Safarigebiete entstehen. Zunächst stellte das die Baka wahrscheinlich nicht vor sonderliche Probleme, schließlich unterschieden sie nicht zwischen Mangos, Heilpflanzen oder Beutetieren innerhalb oder außerhalb der Parkgrenzen.

Sehr bald aber mussten die Baka erkennen, dass der Park sehr wohl ihre Lebensweise beeinflussen würde. Ihnen wurde Wilderei und illegales Betreten des Gebietes nachgesagt. Bald gab es Berichte darüber, das Baka von Anti-Wilderei-Einheiten schikaniert, misshandelt und vertrieben wurden – sogar außerhalb der Parkgrenzen. Seit Jahren erreichten wiederholt Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen auch den WWF. Doch wenig hat sich getan. Erst kürzlich berichtete dieser Mann, wie sein Haus niedergebrannt wurde. Wie viele andere Baka, kann er sich eine Zukunft an einem anderen Ort nicht vorstellen und das ist nicht verwunderlich. Vor allem die Auswirkungen auf die Gesundheit der Indigenen sind verheerend. Das Risiko an Malaria zu erkranken steigt potentiell an, auch die Gefahr sich mit HIV oder anderen Infektionskrankheiten anzustecken ist in den Dörfern am Straßenrand, in die viele der Baka gedrängt werden, sehr hoch. Oft sind sie gezwungen, für Hungerlöhne zu arbeiten. Alkoholismus ist extrem verbreitet.

Beschwerde bei der OECD

Die Menschenrechtsorganisation Survival International, die sich für die Wahrung der Rechte indigener Völker einsetzt, hat vor dem Hintergrund des Landraubs und der Misshandlungen der Baka eine Beschwerde gegen den WWF bei der OECD eingereicht. Kritikpunkt ist einerseits, dass der WWF entscheidende Unterstützung für die Schutzgebiete leistete, ohne dass die freie, vorherige und informierte Zustimmung der Baka erlangt worden sei. Zum zweiten wird dem WWF vorgeworfen, durch die Unterstützung der Anti-Wilderei-Einheiten Mithilfe zu den gewaltsamen Misshandlungen der Baka zu leisten. In der Beschwerde wird argumentiert, dass der WWF unter anderem seine menschenrechtliche Sorgfaltsplicht („due diligence“) unter den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen (Kapitel IV) verletzt und somit zu Menschenrechtsverletzungen beigetragen hat.

Die Sorgfaltsplicht ist ein Instrument, das Unternehmen schon lange nutzen, um rechtliche Risiken zu bewältigen. Unter den OECD-Leitsätzen müssen sie es nutzen, um zu verhindern, direkt oder indirekt zu Menschenrechtsverletzungen beizutragen. Die menschenrechtliche Sorgfaltsplicht verlangt, die tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen von Unternehmens-Aktivtäten zu identifizieren, Rechtsverletzungen zu verhindern oder deren Folgen zu mildern und zu berichten, wie dies getan wurde. Die Beurteilung möglicher negativer Auswirkungen auf die Menschenrechte sollte beginnen, bevor ein Projekt aufgenommen wird und sie sollte während des gesamten Projektzyklus fortgesetzt werden. Die menschenrechtliche Sorgfaltsplicht erfordert auch Abhilfe bei Rechtsverletzungen zu schaffen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Verstöße zu verhindern.

Auch wenn bisher die inhaltliche Prüfung der Beschwerde noch aussteht, ist bereits die Entscheidung der OECD-Kontaktstelle, den Fall anzunehmen, ein außergewöhnlicher Zug. Denn die Annahme zeigt, dass sich nicht nur Unternehmen sondern auch große Naturschutzorganisationen an den Leitlinien und damit an grundlegenden menschenrechtlichen Prinzipien messen lassen müssen. Es ist ohne Frage ein Erfolg für die Rechte indigener Völker, aber auch eine Chance für Naturschutzorganisationen. Dass zeigen neueste wissenschaftliche Studien, die indigene Völker als „Geheimwaffe“ gegen den Verlust biologischer Vielfalt und den Klimawandel würdigen. Es ist Zeit, Menschen wie Sukraam Bhaiya zuzuhören und sie und ihre Land- und Menschenrechte im Naturschutz zu achten.

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