Nach deutschem Strafrecht sind Kinder unter 14 Jahren gem. § 19 StGB schuldunfähig und damit strafunmündig. Das soll sich nach Meinung der CSU im Bundestag nun ändern. Eine wahnwitzige Forderung, die nicht nur die aktuelle Rechtslage vernachlässigt, sondern gefährliche Auswirkungen auf sowohl die Justiz als auch die fraglichen Kinder haben kann.
Hintergrund dieser Forderung zur Absenkung des aktuellen Strafmündigkeitsalters war die Vergewaltigung einer 18-Jährigen in Mülheim. Unter den Tätern sollen auch 12-Jährige gewesen sein, die wegen ihres Alters strafrechtlich nicht belangt werden konnten.
Nun könnte man fragen, welche Verpflichtungen eine Gesellschaft vernachlässigt haben muss, in der ein zwölfjähriges Kind überhaupt auf die Idee kommt, eine solche Gewalttat zu begehen. Oder man könnte die Verantwortung von sich weisen und stattdessen eine Herabsetzung der Strafmündigkeit auf ein Alter von zwölf Jahren fordern, wie bereits kurz nach der Tat der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt.
Keine „starren Altersgrenzen“ mehr
Diese Forderung ist grundsätzlich nichts neues. Jedes Mal, wenn die Öffentlichkeit durch Gewaltverbrechen so junger Täter*innen vor Schock erstarrt, findet die Idee der Absenkung des Strafmündigkeitsalters gerade in konservativen Kreisen Zuspruch.
Neu ist dagegen, dass die Forderung diesmal in der Politik auf fruchtbaren Boden stößt: Die CSU-Landesgruppe im Bundestag schloss sich letzte Woche der Forderung Wendts an und beschloss, dass zumindest bei „schweren Gewaltverbrechen“ auch Kinder unter 14 Jahren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollen. Der Grund: Es soll „allein die Einsichtsfähigkeit des Täters und die Schwere der Tat entscheidend sein – nicht eine starre Altersgrenze“.
Der rechtspolitische Sprecher der CDU im Bundestag, Rechtsanwalt Dr. Jan-Marco Luczak, stimmte diesem Beschluss ebenfalls zu. Er glaube, dass jedenfalls bei schweren Gewalttaten auch ein 13-jähriger dazu in der Lage sein könne, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Und darum ginge es bei der Strafmündigkeit.
Auch unter Strafrechtler*innen findet sich vereinzelte Sympathie für diesen Vorschlag. Prof. Dr. Michael Kubiciel erklärte via Twitter: „Letztlich geht es darum sicherzustellen, dass nur Personen bestraft werden, die das Unrecht ihrer Tat einsehen und sich dementsprechend verhalten können.“
Aktuelle Rechtslage
Die Argumente der Befürworter*innen einer solchen Absenkung des Strafmündigkeitsalters erwecken den Eindruck, als habe der Staatbisher keine Möglichkeiten, auf Strafauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen zu reagieren.
Im Beschluss der CSU-Landtagsgruppe wird beispielsweise argumentiert, so könnten „in besonders schwerwiegenden Fällen auch erzieherische Maßnahmen bis hin zu Konsequenzen beim Sorgerecht“ ermöglicht werden.
Dies verkennt die Rechtslage, wie auch Prof. Dr. Theresia Höynck betonte: „Sorgerechtliche Konsequenzen sind unter familienrechtlichen Gesichtspunkten der Kindeswohlgefährdung unabhängig von strafrechtlichen Altersgrenzen zu prüfen, nicht im Strafverfahren.“
Die für Straftaten Minderjähriger zur Verfügung stehenden Strafen und Maßnahmen bemessen sich nach den §§ 5 ff JGG und umfassen Erziehungsmaßregeln (§ 9 JGG), Zuchtmittel wie den Jugendarrest und die Jugendstrafe, die im Freiheitsentzug besteht. Sorgerechtliche Maßnahmen hingegen richten sich nach §1666 BGB und werden durch Jugendämter (§ 8a SGB VIII) und Familiengerichte (§ 42 III Nr. 2 SGB VIII), nicht Strafgerichte, durchgesetzt.
Die Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen fügte mit Blick auf die Rechtswirklichkeit hinzu: „Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass eine Senkung der Strafmündigkeitsgrenze zu einem verbesserten Schutz vor Straftaten führen würde.“ Ein solcher Anhaltspunkt ergibt sich auch nicht aus Kriminalstatistiken: Laut der Gewerkschaft der Polizei ist die Zahl der Tatverdächtigten unter 14 Jahren seit 2004 kontinuierlich gesunken. Diese Gewerkschaft lehnt den Gesetzesverstoß daher auch ab.
Eine Absenkung oder gar Aufhebung der Altersgrenze würde nachdem eine verfehlte Reaktion darstellen. Eine Reaktion, die nicht nur von einer Fehleinschätzung der aktuellen Rechtslage zeugt, sondern auch von mangelnder pädagogischer Einsicht. Eine Einzelfallprüfung der Einsichtsfähigkeit von Kindern unter 14 Jahren wäre eine extreme Zusatzbelastung für die ohnehin schon stark belastete Kriminaljustiz. Ganz zu schweigen von dem offensichtlichen Missverhältnis zwischen dem präventiven Nutzen einer solchen Reform und dem Risiko, dem die betroffenen Kinder durch Fehleinschätzungen ausgesetzt würden.
Auswirkungen der Haft auf minderjährige Täter*innen
Mit einer Absenkung der Altersgrenze würde also nicht viel mehr an der aktuellen Rechtslage verändert als die Tür für Haftstrafen für unter 14-Jährige zu öffnen.
Die Auswirkungen einer solchen Reform wären alles andere als hilfreich: Bereits kurze Unterbringungen in Gefängnissen können traumatisierende Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben. Allein der Umstand, eingesperrt zu sein, ohne die Eltern oder Sorgeberechtigten in der Nähe, kann zu großen Ängsten, Verunsicherungen und Traumata führen.
Dazu kommt eine erhöhte Affinität gegenüber Manipulationen oder anderen Einflüssen, die oftmals durch Mithäftlinge ausgeübt werden. Schuldgefühle wegen der begangenen Tat und die Ablehnung, die so junge Inhaftierte oft durch ihre Familien, Gleichaltrige und Mitinhaftierte erfahren, überfordern die Minderjährigen noch weiter. All dies führt dazu, dass oftmals erst durch die Inhaftierung eine Abwärtsspirale ausgelöst wird, die zu weiteren Gesetzesverstößen führen kann. Die präventive oder „abschreckende“ Wirkung durch Haftstrafen hält sich erwiesenermaßen selbst bei Erwachsenen in Grenzen.
Die Sinnhaftigkeit einer Haft für Minderjährige ist deshalb schon grundsätzlich sehr fragwürdig – ganz zu schweigen von der Inhaftierung noch jüngerer Kinder als bisher. Dabei geht es nicht um die Frage, ob auch Minderjährige Konsequenzen für ihr Handeln tragen sollten, sondern darum, wie zielführend eine Inhaftierung für so junge Menschen sein kann.
Das Ziel der Forderungen, ausschließlich an der Einsichtsfähigkeit von Täter*innen anzuknüpfen, gleich wie alt sie sind, ruft deshalb zum Glück bei der Mehrheit der Expert*innen ein Stirnrunzeln hervor.
„Strafrechtliche Verantwortung setzt einen bestimmten Entwicklungsstand voraus, der bei Kindern unter 14 Jahren regelmäßig nicht gegeben ist. Darüber besteht große Einigkeit in der Wissenschaft“, so beispielsweise der BMJV-Sprecher Maximilian Kall.Auch der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwaltverein lehnen die Forderung ab.
Prävention statt Reaktion
Zuletzt wurde 1953 im Zuge der Ausarbeitung des bis heute grundlegenden Jugendgerichtsgesetzes am Strafmündigkeitsalter geschraubt. Damals wurde es allerdings auf die aktuellen 14 Jahre angehoben, nachdem es im Nationalsozialismus zuvor auf 12 Jahre abgesenkt worden war. Und das aus gutem Grund: Das JGG sollte schon damals konstruktive Erziehungsmaßnahmen Strafsanktionen vorziehen und so pädagogisch sinnvolle Lösungen finden.
Und pädagogisch sinnvolle Lösungen sehen ganz sicher anders aus, als eine Veränderung der Strafmündigkeitsgrenze. Es wäre ein guter Zeitpunkt, um in die Ausbildung und Ausstattung von Jugendämtern, Familiengerichten und anderen Instanzen der Jugendhilfe zu investieren. Die bereits bestehenden Möglichkeiten, auf Strafauffälligkeiten von Kindern unter 14 Jahren zu reagieren und präventive Unterstützung für Minderjährige und ihre Eltern anzubieten, könnten so ausgebaut und verbessert werden.
Es bleibt nur, die Politik aufzufordern, übereilte Reaktionen nicht über Prävention zu stellen. Die Mentalität, strafauffällig gewordenen Kindern eine „Lektion“ erteilen zu wollen, zeugt lediglich von fehlendem pädagogischen Verständnis. Wichtiger wäre es, den betreffenden Kindern positive Ziele zu vermitteln und an den Hintergründen ihrer Verhaltensauffälligkeiten anzusetzen. Wir tragen als Gesellschaft Verantwortung gegenüber diesen Kindern, der wir viel früher gerecht werden müssen als erst nach einer Straftat.