Frauen haben im Durchschnitt bessere Abiturnoten als Männer, schneiden aber im juristischen Examen signifikant schlechter ab. Warum das so ist, lässt sich schwer sagen. Die einen vermuten, es könnte daran liegen, dass Frauen im Abitur zu gut bewertet werden. Andere werfen die Frage auf, ob Frauen im Examen diskriminiert werden. Fakt ist: Seitdem Frauen Zugang zur juristischen Ausbildung haben, ist Sexismus darin ein virulentes Thema.
Derzeit bereitet die Justizminister*innenkonferenz (JuMiKo) eine Reform der juristischen Ausbildung vor. Kontrovers diskutiert werden u.a. eine Vereinheitlichung (bzw. Entwertung) der Schwerpunktbereiche und die Frage, was zukünftig zum Pflichtstoffkatalog gehören soll. Was in den Reformdiskussionen bisher fehlt, ist ein Blick auf Diskriminierung und Ungleichheiten – sowohl bei der inhaltlichen Ausgestaltung als auch im Hinblick auf strukturelle Exklusionsmechanismen der Ausbildung.
Lernen am Klischee
In der Zivilrechtsvorlesung werden einige Standardprobleme des Vertragsrechts anhand eines Falles abgehandelt, der den Titel trägt: „Das besondere Verhältnis der Frau zu ihrer Einbauküche“.
Fälle sind das zentrale Ausbildungsmaterial im juristischen Studium und die Falllösung die wesentliche Technik, die im Examen beherrscht werden muss. Das Problem: Eine Vielzahl von Übungs- und Klausurfällen bedient sich stereotyper Darstellungen. Wer sich die Fallgestaltungen anschaut, stellt fest: Frauen sind in der juristischen Ausbildungsliteratur unterrepräsentiert und tauchen, wenn überhaupt, überwiegend in tradierten Geschlechterrollen auf. Gleiches gilt für andere marginalisierte Gruppen: Es agieren vor allem Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. Minderheiten tauchen selten auf, und wenn, dann oft in stigmatisierenden Kontexten, z.B. als „kriminelle Migranten“. Bereits vor 40 Jahren haben sich Juristinnen mit diesen Problemen auseinandergesetzt. Gleichwohl hat sich bis heute das Ausbildungsmaterial für Jurastudierende und Referendar*innen in dieser Hinsicht kaum verbessert.
Fälle erzählen Geschichten und tragen so zu dem Bild bei, das Studierende von der Welt entwickeln. Bedienen sie sich stereotyper Darstellungen, reproduzieren und perpetuieren sie damit problematische Rollenbilder. Treten marginalisierte Gruppen vorrangig in stigmatisierenden Zusammenhängen auf, wird dies auch einen Einfluss darauf haben, wie Jurist*innen diesen in ihrer späteren Praxis begegnen.
„Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird nur die männliche Schreibweise…“
Obwohl zum Teil in Gleichstellungs- und Hochschulgesetzen und in Gleichstellungsplänen von Universitäten und Juristischen Fakultäten vorgegeben, wird in der juristischen Ausbildung zudem nur vereinzelt eine geschlechtergerechte Sprache verwendet. Die Rechtswissenschaft tut sich schwer damit, was gerade angesichts ihrer Sprach- und Textbasiertheit verwundert. Anerkannte rechtswissenschaftliche Fachzeitschriften weigern sich, Texte in geschlechtergerechter Form anzunehmen oder verlangen das generische Maskulinum. Damit mögen zwar alle gemeint sein, aber es ist nicht von der Hand zu weisen: Wer „Jurist“ hört, sieht vor dem inneren Auge bestimmt keine Juristin. Selbst diejenigen von uns, die im täglichen Leben geschlechtergerecht sprechen, haben im Rahmen von juristischen Prüfungsarbeiten und insbesondere in den Examensprüfungen darauf verzichtet. Denn zu groß scheint die Gefahr, dass eine geschlechtergerechte Schreibweise in Klausuren oder Hausarbeiten von Korrektor*innen moniert oder gar mit Punktabzug sanktioniert wird.
Dabei müsste es genau anders herum sein: Inkludierende und gerechte Sprachformen sollten explizit als Qualitätsmerkmal von juristischen Prüfungsleistungen festgelegt werden. Das geht nicht ohne ein Zusammenspiel mit nichtdiskriminierendem Ausbildungsmaterial, das gesellschaftliche Pluralität abbildet.
Männlich, weiß, hetero
Wir, vier Examenskandidatinnen, sitzen beim Vorsitzenden unserer mündlichen Prüfungskommission. Das bis dahin ermutigende Gespräch endet mit dem Hinweis: „Die Prüfungskommission ist ja ausschließlich männlich besetzt. Ziehen Sie sich einen schönen Rock an, dann haben Sie nichts zu befürchten.“ Am Prüfungstag erscheinen vier von vier Studentinnen im Rock.
Wer sich an juristischen Fakultäten umschaut, stellt schnell fest: sie sind auch heute noch männlich dominiert. So liegt der Anteil der weiblich besetzten juristischen Lehrstühle immer noch bei gerade einmal 16 Prozent. Das heißt, Männer bekleiden 84% der Juraprofessuren. Wenngleich mittlerweile sogar mehr Frauen als Männer Jura studieren, nimmt der Anteil von Frauen mit jedem Schritt auf der Karriereleiter drastisch ab. Während noch 45 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen im Fach Rechtswissenschaft weiblich sind, werden nur 39 Prozent der rechtswissenschaftlichen Promotionen von Frauen verfasst. Nicht einmal 25 Prozent der juristischen Habilitand*innen sind Frauen. Erweitert man den Blick auf andere Dimensionen der Ungleichheit, ist der Befund noch drastischer. „Where are the Black Lawyers in Germany?“ fragte Iyiola Solanke bereits 2005. Zwar ist auch diesbezüglich unter Studierenden eine erfreuliche Diversifizierung zu beobachten. In den Reihen juristischer Ausbilder*innen sucht man Schwarze Menschen und People of Color ebenso wie Trans*-Personen und andere, die nicht Repräsentant*innen der Mehrheitsgesellschaft sind, nach wie vor jedoch zumeist vergeblich.
Sexismus als Alltag
Der AG-Leiter weist darauf hin: „Wenn Sie mich evaluieren, müssen Sie nicht schreiben, dass ich diskriminierende Aussagen tätige. Das weiß ich selber.“
Juristische Räume zeichnen sich generell nicht durch Warmherzigkeit, Fehlerfreundlichkeit und niedrigschwellige Zugänglichkeit aus. Unter elitärem Dünkel und Schnösel-Habitus haben unabhängig vom Geschlecht alle zu leiden, die die an sie gestellten Rollenerwartungen nicht erfüllen. Für Frauen kommt erschwerend hinzu, dass sie in beinahe jeder Situation damit rechnen müssen, dass sich unerwartet eine sexualisierte Wendung ergibt. Sei es durch Kommilitonen, die sich in der Bibliothek oder im Seminarraum distanzlos verhalten oder auf jedem Tisch ein gemaltes Penis-Bild hinterlassen; oder durch zotige, sexistische und völlig unangemessene „Witze“ von Professoren oder wissenschaftlichen Mitarbeitern in Lehrveranstaltungen. Sie schaffen eine Atmosphäre, in der Studierende bestimmte Lehrveranstaltungen gar nicht erst besuchen oder nach wenigen Sitzungen die Teilnahme abbrechen und lieber zu Hause als in der Bibliothek lernen. Die Männer, von denen an den Universitäten durchaus bekannt ist, dass sie Frauen gegenüber inadäquat auftreten, haben gleichwohl kaum negative Konsequenzen zu fürchten. Sie dürfen ihren Lehr- und Arbeitsstil regelmäßig unbehelligt fortführen und sich den Raum nehmen – verdrängt werden diejenigen, die sich dem nicht aussetzen wollen.
Für viele von uns sind Sexismus-Erfahrungen derart alltäglich, dass wir die meiste Zeit darüber hinwegsehen. Sie sind uns zur Gewohnheit geworden. Wir haben uns damit arrangiert, und oft erscheinen die Vorkommnisse für sich genommen zu banal, um großen Protest auszulösen. Dabei sind Stereotype und Sexismen mittlerweile eben oftmals so subtil, dass sie hemmende Ambivalenzen und Unsicherheiten hervorrufen: Ist das jetzt Sexismus oder reagiere ich über? Das ist fatal, denn in der Zusammenschau sind die alltäglichen Erfahrungen sehr wohl schwerwiegend, frauenverachtend und diskriminierend.
Eine Reform, die das diskriminierende und elitäre Studienklima nicht adressiert, ist halbherzig. Es ist längst bekannt, dass Diskriminierung ein möglicher relevanter Faktor für den Studienerfolg und den Karriereverlauf sein kann. Hierzu brauchen wir weitergehende Forschung, zum Beispiel zu den Fragen, welchen Einfluss Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Behinderung auf die Examensergebnisse haben oder wie die eigene Biografie von Juraprofessor*innen sich in ihrer Beschäftigungspolitik auswirkt.
(Mehr) Rechtskritik, Gender & Diversity-Perspektiven in den Stoffkatalog
Was macht gute Jurist*innen aus? Diese Frage sollte als Leitfrage über jeglichen Reformbemühungen in der juristischen Ausbildung stehen. Die Kompetenz, gesellschaftliche Ungleichheiten und Diskriminierungsverhältnisse zu reflektieren, scheint bisher jedenfalls nicht Teil der Antwort zu sein. Dabei betrifft das Jura-Studium wie kaum ein anderes Fachgebiet grundlegende Gerechtigkeitsfragen. Um diese adäquat adressieren zu können, reicht es nicht aus, geltendes Recht mechanisch anwenden zu können. Jurist*innen in der Beratungsarbeit, Verwaltung und Rechtsprechung sollten dieses auch hinterfragen und in gesellschaftliche Zusammenhänge einordnen können. Dazu gehört die Sensibilität für Dominanzverhältnisse, die die Gesellschaft strukturieren, auf das Recht einwirken und mit diesem in Wechselbeziehung stehen. Diese Sensibilität fällt nicht vom Himmel, sie geht über Alltagswissen hinaus und muss erlernt werden. Noch sind Seminare im Bereich der Feminist Legal Studies oder Critical Race Theory an den meisten Universitäten überhaupt nicht im Lehrangebot zu finden. Hier besteht dringender Nachbesserungsbedarf. Unseres Erachtens sind es gerade die Grundlagenfächer und das Schwerpunktstudium, in denen eine solche reflexive und kritische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Ausbildung erlernt und erprobt werden kann. Statt diese Bereiche der juristischen Ausbildung zukünftig zu reduzieren und in ihrer Bedeutung abzuschwächen, müssten sie flächendeckend gestärt und erweitert werden.
Neben kritischen Perspektiven auf das Recht sind Gender- und Diversity-Kompetenz zentrale Schlüsselqualifikationen für juristische Berufe. Es ist zu erwarten, dass ihre Bedeutung zukünftig noch zunehmen wird, nicht zuletzt vor dem Hintergrund pluraler und international vernetzter Gesellschaften. Bisher werden solche Kompetenzen im Rahmen der juristischen Ausbildung noch nicht ausreichende anerkannt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es einen hohen Begründungsaufwand erfordert, z.B. Genderperspektiven in die juristische Lehre zu tragen. Entsprechenden Vorhaben schlägt bei den zuständigen Stellen nicht selten kühler Gegenwind entgegen. Hierzu bedarf es einer entsprechenden Ergänzung bzw. Klarstellung des § 5a Abs. 3 DRiG, der die Relevanz von Schlüsselqualifikationen in der juristischen Ausbildung regelt.
Um solche Vermittlungs- und Vertiefungsangebote zu schaffen, braucht es nicht nur die formale Anerkennung, sondern auch kompetentes Lehrpersonal sowie fachspezifische Weiterbildungsmöglichkeiten für alle juristischen Professionen.
… und eine transparente, partizipative Reformdebatte.
Die juristische Ausbildung soll Menschen dazu befähigen, verantwortungsvoll mit einem so wichtigen Werkzeug wie dem Recht umzugehen. Eine Reform der derzeitigen Angebote ist notwendig aus vielen Gründen. Ein Grund ist ihre diskriminierende Gesamtprägung, die mit Exklusionsmechanismen einhergeht. Der Zugang zum Recht muss aber in jeder Hinsicht diskriminierungsfrei gewährleistet sein. Gender- und diversitätssensible, kritische Perspektiven helfen dabei, dieses Ziel zu erreichen.
Für eine grundlegende Änderung der juristischen Ausbildung und ihrer Kultur braucht es eine transparente Diskussion, die partizipativ geführt wird. Dazu gehört die Beteiligung vielfältiger juristischer Akteur*innen, nicht nur der Fakultäten und nicht nur ihrer privilegiertesten Repräsentanten.
Mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir diesen Artikel, der zuerst auf dem JuWiss-Blog am 2.2.2017 erschien (aufzurufen unter: https://www.juwiss.de/15-2017/).