Intervention und Kritik in globalisierten Zeiten: Die Feminisierung der bangladeschischen Textilindustrie

Die Debatte um die Arbeitsbedingungen in der Textilbranche Bangladeschs hat spätestens seit Dezember vergangenen Jahres erneut an Fahrt aufgenommen, als tausende Beschäftigte ihre Arbeit in den Textilfabriken niederlegten, um gegen die Entlassung von 120 ihrer Kolleg*innen zu protestieren und eine Verdreifachung ihres auf ca. 63 Euro berechneten Monatslohnes zu fordern. Auf den zweiwöchigen Streik reagierte der Verbund der Arbeitgebenden mit der Entlassung tausender Angestellter und die Behörden mit der Festnahme von Arbeiter*innen, Gewerkschaftsmitgliedern und einem Fernsehreporter.

Die prekäre arbeits- und menschenrechtliche Lage in den Fabrikkomplexen in und um Dhaka, in denen eine Vielzahl europäischer Unternehmen ihre Kleidung für den hiesigen Markt produzieren lässt, ist bereits seit Jahren Gegenstand von Verbraucherkampagnen und anderweitigen rechtlichen, politischen und zivilgesellschaftlichen Interventionen. Insbesondere Tragödien wie der Einsturz des Rana Plaza Fabrikkomplexes im April 2013 mit mehr als 1000 Toten und über 2500 Verletzten ließen die Rufe nach einer verstärkten Verantwortlichkeit der in Europa und Nordamerika ansässigen Textildiscounter für die Arbeitsbedingungen in der globalen Wertschöpfungskette lauter werden.

Eine geschlechtsspezifische Problematik

Bei der Formulierung von Forderungen und der Konzeption der Kampagnen darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die arbeitsrechtlichen Missstände in Bangladesch insofern besonders sind, als im Zentrum dieser Debatte die Thematisierung von Frauenrechten steht. Die Textilbranche, Bangladeschs führender Exportsektor, beschäftigt mehr als vier Millionen Menschen – achtzig Prozent davon sind Frauen. In textilproduzierenden Staaten wie Bangladesch kam es in den letzten Jahrzehnten zu einer massenhaften Anstellung von Frauen, die zu einer Feminisierung dieser Form der Erwerbsarbeit geführt hat. Opfer von Katastrophen wie der von Rana Plaza sind daher in der überwiegenden Mehrheit weiblich. Sollen menschenrechtliche Interventionen zur Verbesserung der Lebensumstände der Fabrikarbeiter*innen beitragen, so müssen sie deren geschlechtsspezifischen Bedürfnisse, Lebensumstände und Rechte in den Blick nehmen.

Das feministisches Dilemma – Zwischen Empowerment und der Reproduktion patriarchaler Strukturen

Die Feminisierung der Textilindustrie in Bangladesch ist ein Thema, dessen sich der akademische und entwicklungspolitische Diskurs bereits seit vielen Jahren angenommen hat. Ausgangs- sowie Streitpunkt ist dabei die Frage, welche Auswirkungen die Massenbeschäftigung von Frauen in diesem Sektor tatsächlich auf deren Lebenswirklichkeit hat. Diese Frage muss gestellt werden, denn aufbauend auf der Bewertung dieses Phänomens werden Programme und Interventionen von Akteuren außerhalb Bangladeschs – von NGOs, Verbrauchern sowie Regierungen – konzipiert und daran anschließend werden die konkreten rechtspolitischen Forderungen formuliert.

Nun ist die Beantwortung dieser Frage nicht so eindeutig, wie sie sich in der aktuellen tagespolitischen Debatte darstellt. Insbesondere aus einer kritisch feministischen Perspektive ist umstritten, welche Bedeutung die Feminisierung der Textilindustrie in Bangladesch für die Verwirklichung von Frauenrechten hat. Teilweise wird diese Form der Beschäftigung als Motor eines Empowermentprozesses begriffen, da sie einer Vielzahl bangladeschischer Frauen den Einstieg in die bezahlte Lohnarbeit ermöglicht und somit, zumindest aufgrund der ökonomischen Unabhängigkeit von der Familie und Ehepartnern, zu einem Zuwachs an Autonomie geführt hätte. Auch in gesellschaftlicher Hinsicht wird ein damit einhergehender Wandel in den Geschlechterrollen attestiert. Dies zeige sich u.a. im gestiegenen Bildungsniveau von Frauen und Mädchen sowie in der mit der Mobilität der Arbeiter*innen einhergehenden verstärkten Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum.

Demgegenüber stehen diejenigen Stimmen, die einwenden, die Massenbeschäftigung von Frauen sei kein Symbol der Gleichberechtigung, sondern eine neue Form der Ausbeutung, in der sich tradierte Machtstrukturen manifestieren. Das Phänomen sei lediglich der Nachfrage nach billiger und flexibler Arbeitskraft geschuldet. Die Arbeitsbedingungen in den „sweatshops“ seien prekär bis lebensbedrohlich und sexuelle Belästigung eine gängige Praxis zur Disziplinierung von Arbeiter*innen. Als Reaktion auf die ausbeuterischen Produktionsmethoden formierten sich in verschiedenen Industriestaaten Verbraucherkampagnen, deren Ziel es ist, das Kaufverhalten der Konsument*innen durch ethische Erwägungen zu beeinflussen. Die Unternehmen sollen so dem Druck ausgesetzt werden, die Einhaltung internationaler Arbeitsstandards in ihrer Produktionskette zu gewährleisten.

Diese konträren Sichtweisen machen deutlich, dass der Globalisierungsprozess und die Wirkung der Massenbeschäftigung von Frauen im Textilsektor auf die Geschlechterverhältnisse sich als komplex und widersprüchlich darstellen. Der Diskurs wirft eine Vielzahl an Fragen auf, deren Beantwortung sich auf rechtlicher, politischer sowie ökonomischer Ebene abspielt und ideologisch stark aufgeladen ist – Könnte eine Durchsetzung von Arbeitsstandards und Menschenrechten mittels Wirtschaftssanktionen und Importstops gelingen? Sind derartige Methoden eine Notwendigkeit oder führen sie zu einer Ausweitung des informellen Sektors und zum Stellenabbau in jenen Sektoren, in denen Frauen endlich legaler Erwerbsarbeit nachgehen können?

Über westliche Deutungshoheit und fehlende Repräsentation

Bei dieser Debatte um die Bewertung der Anstellungsverhältnisse in der bangladeschischen Textilproduktion gerät jedoch leicht das feministische Kernthema aus dem Blick – die Kritik an den Machtverhältnissen, die Reflexion darüber, wer in diesem Diskurs die Deutungshoheit innehat und damit darüber bestimmten kann, welche Programme und Kampagnen zum „Wohle der bangladeschischen Arbeiter*innen“ ins Leben gerufen werden. Der wissenschaftliche Diskurs ist daher einer über die Arbeiter*innen und damit ebenso wie die Rezeption in den Medien allzu oft geprägt von Unkenntnis des lokalen Kontextes und verkürzten Schlussfolgerungen. Medien, aber auch Aktivist*innen, greifen regelmäßig auf stereotype Bilder, insbesondere hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse in Entwicklungsländern, zurück, um in den textilimportierenden Staaten die moralische Verpflichtung zu beschwören, die ausgebeuteten Frauen zu „retten“. Auffällig ist die hierbei stattfindende Viktimisierung der Arbeiter*innen, die insbesondere in vielen europäischen Verbraucherkampagnen ihren Ausdruck findet. Hierbei wird es zur moralischen Pflicht einer „gut informierten“, „starken“ und „weißen“ Mittelschicht, den „hilflosen“, „ausgebeuteten“ Arbeiter*innen zur Durchsetzung ihrer Rechte zu verhelfen. Aber Wer spricht hier eigentlich für Wen? Und welches Sprachrohr verbleibt den Arbeiter*innen, wenn die Kampagnen fernab des eigentlichen Schauplatzes und ohne jegliche Beteiligung ihrerseits entworfen werden? In dieser Debatte geht es um vielmehr als um arbeitsrechtliche Standards. Aus einer feministischen und möglichst lokalen Perspektive muss sich vor allem auch darauf besonnen werden, wie gender, race und koloniale Machtstrukturen in derartigen Kampagnen zusammenspielen. Frauen des globalen Südens müssen sich gegenüber patriarchalen Strukturen im Allgemeinen positionieren und zudem gegenüber einer westlichen Deutungshoheit über ihre eigene Lebensrealität.

Wie sollten externe Akteure aus einer feministischen Perspektive in post-koloniale Verhältnisse intervenieren?

Es steht außer Zweifel, dass Lösungsstrategien gegen die Diffusion von Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen für ausbeuterische Produktionsmethoden vorangetrieben werden müssen, um die Rechte von Arbeitnehmer*innen weltweit zu stärken. Eine Sensibilisierung der Bevölkerung in textilimportierenden Staaten für die Bedingungen in den bangladeschischen Textilfabriken sind gewollt und die politische Solidarität mit den Arbeiter*innen bleibt eine Notwendigkeit. Betrachtungen des Phänomens der Feminisierung der Textilindustrie aus westlicher Perspektive laufen jedoch ganz unabhängig von ihrer endgültigen Bewertung Gefahr, rassistische und sexistische Stereotype zu reproduzieren. Eine dekontextualisierte Kritik trägt den durch den Globalisierungsprozess ausgelösten Widersprüchlichkeiten nicht genügend Rechnung und negiert die Erfahrungen der Arbeiterinnen.

Statt anhand von Top-Down-Ansätzen Maßnahmen aufzuerlegen, sollten Solidaritätskampagnen und Menschenrechtsaktivist*innen daher die Lebenswirklichkeit und Prioritäten der bangladeschischen Arbeiter*innen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und des Diskurses stellen und lokale grass root Bewegungen sowie weibliche Gewerkschaftsarbeit unterstützen, um ihnen über ihre Landesgrenzen hinaus Gehör zu verschaffen. Trotz des allgemein gewerkschaftsfeindlichen Umfelds in Bangladesch und der zusätzlichen Hürde, dass sich die traditionellen, männerdominierten Gewerkschaften frauenspezifischen Themen nur unzureichend annehmen, hat in Bangladesch eine umfangreiche gewerkschaftliche Mobilisierung der Näher*innen stattgefunden. Ein Beispiel ist der nationale Gewerkschaftsverbund Garment Workers‘ Trade Union Centre (GWTUC), der mit einem besonderen Fokus auf Empowerment von Frauen, eine besonders aktive Rolle im Rahmen von Streiks, rechtlichen und politischen Kampagnen zur Verantwortlichkeit der Textilunternehmen einnimmt. Hinterfragt werden sollte in diesem Kontext das geringe Niveau an grenzüberschreitender Solidarisierung zwischen den Gewerkschaften. Aus Angst vor Erwerbslosigkeit des eigenen Klientels reagierten Gewerkschaften insbesondere zu Beginn des Outsourcings der Textilindustrie in Entwicklungsländer mit protektionistischen Appellen wie der Forderung von Anti-Dumping Gesetzen und Importquoten oder mit verstärkter Kooperation mit transnationalen Unternehmen und Regierungen. Nur durch die Bildung grenzüberschreitender Netzwerke und Strategien der Gewerkschaften kann es einer Arbeiter*innenbewegung jedoch gelingen, die eigenen Forderungen den Strukturen des globalisierten Marktes und der Kapitalmarktmobilität anzupassen und sich dem Problem der Rechtsdurchsetzung in seiner globalen Dimension anzunehmen.

Externe Akteure müssen sich bei der Konzeption und Durchführung ihrer Kampagnen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen bangladeschischer Arbeiter*innen der vielschichtigen Dynamiken dieser Debatte bewusst sein. Insbesondere ein außerhalb des Landes geführter feministischer Diskurs kommt ohne Reflektion des historisch gewachsenen und strukturellen Machtgefälles nicht aus. Postkoloniale Theorien bieten dabei eine Möglichkeit zur beständigen Innenkritik und Ausrichtung von Interventionen. Auf diese Weise können sie einen Beitrag zum autonomen Empowermentprozess der bangladeschischen Arbeiterinnen leisten.

 

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