Bodycams – Verspielte Chance für mehr Vertrauen in Rechtsstaat und Polizei

Seit Februar 2019 kommen Bodycams bei der Bundespolizei zum Einsatz. Der Kameraeinsatz soll Polizist_innen vor gewalttätigen Übergriffen schützen – zweifelsohne ein wichtiges Anliegen. Dass aber auch Bürger_innen ein berechtigtes Interesse an dem Videomaterial haben könnten, um sich gegen rechtswidriges Verhalten der Polizei zu wehren, spielte bei der Einführung der Mini-Kameras kaum eine Rolle. So wurde die Chance vertan, durch einen transparenten und gleichberechtigten Umgang mit dem Videomaterial Vertrauen in die Polizei zu stärken.

Um den jährlich über 30.000 gewalttätigen Übergriffen auf Polizist_innen etwas entgegenzusetzen, starteten in den vergangenen Jahren mehrere Bundesländer Pilotprojekte, in denen der Einsatz von Bodycams getestet wurde. Erste Auswertungen lassen vermuten, dass es in der Tat zu signifikant weniger gewalttätigen Übergriffen kommt (siehe hier und hier). Im Jahr 2017 wurde daher mit der Einführung des § 27a des Bundespolizeigesetzes (BPolG) eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, die es der Bundespolizei erlaubt, die Mini-Kameras regulär im Dienst einzusetzen. Im Februar diesen Jahres wurde eine Dienstvereinbarung zwischen dem Innenministerium und dem Hauptpersonalrat der Bundespolizei unterzeichnet, so dass dem Einsatz der Kameras nun nichts mehr im Weg steht.

Gleicher Schutz für alle?

Vergleicht man die (rege und kontrovers geführte) Debatte in den USA über Bodycams mit der (kaum existenten) Diskussion in Deutschland, so fällt auf, dass die Einführung der Kameras auf der anderen Seite des Atlantiks vor allem von Bürgerrechtler_innen gefordert wurde, um Bürger_innen vor Übergriffen der Polizei und insbesondere rassistisch motivierter Polizeigewalt zu schützen. Hierzulande hingegen wurde die Einführung von der Gewerkschaft der Polizei vorangetrieben und die ausgehandelte Dienstvereinbarung als eigener Erfolg gefeiert. Dies überrascht bei einem Blick in den Gesetzesentwurf keineswegs: als Zweck der Einführung wird ausschließlich der Schutz der Polizeibeamt_innen genannt; dass die Aufnahmen auch Bürger_innen vor rechtswidrigem polizeilichen Handeln schützen könnten, findet keine Erwähnung. Diese einseitige Ausrichtung wurde durch die Dienstvereinbarung verstärkt, in der festgelegt ist, dass Aufnahmen für polizeiinterne Ermittlungen wie Disziplinarverfahren nicht genutzt werden dürfen. Das bedeutet nicht, dass das Videomaterial bei der Strafverfolgung möglicher Straftaten von Polizist_innen gar nicht verwendet werden darf, da die Staatsanwaltschaft das Videomaterial für die Ermittlungen anfordern kann. Es hat aber zur Folge, dass das Material nur dann auf mögliches Fehlverhalten von Polizist_innen gesichtet werden kann, wenn solche Ermittlungen aufgenommen worden sind.

Der angelegte Doppelstandard führt auch dazu, dass allein die Beamt_innen darüber entscheiden, wann die Kamera eingeschaltet wird. Für Bürger_innen besteht also nicht die Möglichkeit, in als bedrohlich empfundenen Situationen das Einschalten der Kamera zu fordern. Der Einwand, dass Bürger_innen Einsätze oftmals mit dem Smartphone filmten und daher „informatorische Waffengleichheit“ bestünde, greift zu kurz, da Polizist_innen das Filmen von Einsätzen mit Hinweisen auf das Recht am eigenen Bild oftmals unterbinden. Auch übersieht dieses Argument, dass der_die einzelne Bürger_in dem Staat als institutionalisiertem Apparat gegenübersteht und nicht dem_der Polizist_in als Einzelperson. Von „Waffengleichheit“ zu sprechen, um eine einseitige Verwendung des Videomaterials zu rechtfertigen, übersieht also strukturelle Machtverhältnisse und geht daher an der Realität vorbei.

Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Bodycam-Einsatzes

Darüber hinaus begegnet die Rechtsgrundlage des Kameraeinsatzes, im Fall der Bundespolizei ist dies § 27a BPolG, verfassungsrechtlichen Bedenken: Das Filmen von Personen im öffentlichen Raum stellt einen besonders schweren Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) dar, da davon auszugehen ist, dass grundsätzlich ein hohes Interesse der Bürger_innen besteht, sich frei in der Öffentlichkeit bewegen zu können. Dem wird mit der Einführung des § 27a BPolG das Interesse des Staates an der Aufklärung von Straftaten und der Schutz der Polizeibeamt_innen gegenübergestellt.

Der Einsatz von Bodycams muss daher den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgebots, der Normklarheit, des hohen Schutzbedarfes der Betroffenen sowie der Transparenz für die Betroffenen gerecht werden. In Bezug auf das Bestimmtheitsgebot ist positiv herauszuheben, dass die Schutzgüter – Leib, Leben, Freiheit, Eigentum – deren Bedrohung einen Kameraeinsatz rechtfertigen, klar benannt sind. Allerdings ist auffällig, dass der Kameraeinsatz in Sachsen (§ 57 Sächsisches Polizeivollzugsgesetz) und Nordrhein-Westfalen (§ 15c PolG NRW) nur bei Gefahren der Schutzgüter Leib und Leben gerechtfertigt ist, nicht aber zum Schutze des Eigentums. Der Anwendungsbereich der Kameras ist im Falle des Bundespolizeigesetzes also weiter gefasst und muss daher höheren Rechtfertigungsanforderungen gerecht werden.

Den Transparenzanforderungen wird insoweit Genüge getan, als dass die Beamt_innen dazu verpflichtet sind, auf den Kameraeinsatz hinzuweisen. Auch dem Schutzbedürfnis der Gefilmten wird Rechnung getragen, da keine ständige Videoaufzeichnung erfolgt. Dem steht allerdings entgegen, dass die Entscheidung über den Einsatz der Kamera alleine den Beamt_innen obliegt (s.o.). Eine Regelung, die es entweder den Bürger_innen erlauben würde, den Kameraeinsatz einzufordern oder die Pflicht der Polizeibeamt_innen, die Kamera bei der Anwendung von unmittelbarem Zwang einzuschalten, wären wünschenswert und könnten die Einführung der Kamera verfassungsrechtlich absichern. Da durch ein sog. Pre-Recording stets auch die 30 Sekunden vor Aktivierung der Aufnahme gespeichert werden, würde eine solche Regelung sicherstellen, dass auch die Anlässe der Auseinandersetzungen erfasst werden.

Die einseitige Gestaltung des Gesetzes wird von § 27a IV 2 Nr. 3 BPolG durchbrochen, der explizit zum Schutz der Gefilmten eingeführt wurde und sicherstellen soll, dass die Bürger_innen die Speicherung von Aufnahmen verlangen können, wenn sie die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns fordern. Allerdings kann das angesprochene Defizit durch diese Regelung nicht aufgefangen werden, weil sich die Regelung logischerweise nur auf Aufnahmen beziehen kann, die schon entstanden sind. Darüber hinaus verfehlt diese aus grundrechtlicher Sicht eigentlich begrüßenswerte Regelung ihre Wirkung, da nicht gesetzlich geregelt ist, dass die Gefilmten Zugriff auf das Videomaterial haben, was für die Nutzung als Beweismaterial notwendig wäre.

Bodycams als vertrauensfördernde Maßnahme

Wichtig wären nicht nur Regelungen, die diese verfassungsrechtlichen Bedenken berücksichtigen, sondern die explizit das Ziel verfolgen, Bodycams zum Schutz aller Beteiligten zu nutzen. Mit der aktuellen Gesetzeslage und insb. der Dienstvereinbarung wurde daher die Chance vertan, die Kamera-Einführung als vertrauensfördernde Maßnahme zwischen Bürger_innen und Polizist_innen als Vertreter_innen des Rechtsstaates zu etablieren.

Dieses Versäumnis ist besonders beklagenswert, da Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass nach Einführung der Kameras 93% weniger Beschwerden gegen die Polizei erhoben wurden. Der einseitige Einsatz zum Schutz der Polizeibeamt_innen wird hingegen dazu führen, dass die Kritik, Polizist_innen hätten bei Fehlverhalten keinerlei Konsequenzen zu befürchten, weiterhin lauter werden wird. Auch in diesem Lichte wäre die Einführung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle wichtig und überfällig, um Bürger_innen die Möglichkeit zu geben, sich gegen mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Polizei zur Wehr zu setzen. Eine solche wird nicht nur von wichtigen Menschenrechtsakteuren wie dem Deutschen Institut für Menschenrechte gefordert, sondern auch schon seit über zwanzig Jahren von den Vereinten Nationen empfohlen.

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