Am 27.2.2020 wurde Yildiz Aktaş vom Kammergericht Schöneberg wegen PKK-Unterstützung verurteilt. Das Verfahren steht exemplarisch für die Repression kurdischer Aktivitäten durch deutsche Gerichte und zeigt, dass ein faires Urteil selten Realität ist.
Seit Oktober lief die Verhandlung gegen Yildiz Aktaş wegen angeblicher Mitgliedschaft und Unterstützung der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans). Sie wurde nun wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129b Strafgesetzbuch (StGB) zu zwei Jahren Haft verurteilt, die zu drei Jahren auf Bewährung ausgesetzt wurden.
§§ 129 ff. StGB – Politisches Strafrecht mit unbestimmten Rechtsbegriffen
Die §§ 129, 129a, 129b StGB, die der Bekämpfung von Terrorismus und kriminellen Vereinigungen dienen sollen, werden von vielen Seiten als ineffektiv kritisiert und als Instrument zur politischen Repression bezeichnet. Sie blicken zurück auf eine lange Geschichte. Schon im preußischen Recht war die Teilnahme an einer staatsfeindlichen Verbindung nach § 129 Reichsstrafgesetzbuch strafbar. In den 1970er Jahren kam infolge der Ereignisse rund um die RAF eine Debatte über Terrorismus in Deutschland auf, die zur Einführung des § 129a StGB führte. Danach ist die Bildung einer terroristischen Vereinigung strafbar. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 sah der deutsche Gesetzgeber die Notwendigkeit, die Strafbarkeit der Betätigung in kriminellen und terroristischen Vereinigungen auf ausländische Organisationen auszuweiten.
Mit den §§ 129 ff. StGB wird die Strafbarkeit nicht nur ins Vorfeld verlagert, sondern auch die strafbaren Handlungen ausufernd weit gefasst. Strafbar macht sich nicht nur, wer Mitglied einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung ist, sondern auch, wer diese unterstützt oder für Mitglieder wirbt. Dafür soll es genügen, wenn das Verhalten einer Person für die Vereinigung „irgendwie vorteilhaft“ ist und deren Mitglieder im Zusammenwirken bestärkt. Eine bloße Sympathiewerbung soll hingegen nicht genügen.[1] Wo genau die Grenze zwischen Sympathiewerbung und „irgendwie vorteilhaft“ liegt, bleibt unklar. Die dem Straftatbestand zugrundeliegenden Begriffe sind unzureichend definiert und lassen zu großen Spielraum für willkürliche Ermessensausübung.
In dem Verfahren gegen Yildiz wurde deutlich, wie ausufernd weit der Begriff „unterstützen“ ausgelegt werden kann. So soll es zu den strafbarkeitsbegründenden Handlungen von Yildiz gehört haben, Demonstrationen zu organisieren, Flyer zu drucken, Transparente zu malen oder eine Ausstellung für die in Paris (vermutlich unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes) ermordeten Sakine Cansız, Leyla Söylemez und Fidan Doğan auf die Beine zu stellen. Die Materialien äußerten sich solidarisch mit der kurdischen Freiheitsbewegung und thematisierten den Konflikt mit der türkischen Seite. Kritische Aspekte sah das Gericht zum Beispiel, wenn auf einer Demo „Freiheit für Öcalan“ gerufen wurde. Die oben beschriebenen Tätigkeiten, die Yildiz zur Last gelegt wurden, sind meines Erachtens vom Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt. Das Gericht sagt selbst, Yildiz‘ Taten seien an sich nicht strafbar und würden sogar unter den Schutz diverser Grundrechte fallen. Die Strafbarkeit rühre jedoch von einer Nähe zur PKK her. Es stellt sich die Frage, was nach geltendem Recht legitime Solidarität mit kurdischen Freiheitskämpfen ist, und ab wann die Justiz eine Verbindung zur PKK vermuten kann. Die Anliegen können letztlich die gleichen sein: keine Gewalt und keine Unterdrückung von Kurd*innen in und durch die Türkei. Wenn Gerichte vorschnell legitime Forderungen nach einem Ende der Gewalt gegen eine nationale Gruppe in Verbindung mit einer bewaffneten Gruppe setzen, die ähnliche Anliegen vertritt, ist das Risiko hoch, angemessene Kritik zu kriminalisieren.
Außer den politischen Aktivitäten wurde Yildiz zur Last gelegt, für einen kurzen Zeitraum Aufgaben eines PKK-Vertreters übernommen zu haben, als dieser über einige Wochen krank war. Allein aus der Übernahme dieser Tätigkeiten eine Mitgliedschaft zu folgern, scheint problematisch. Es ist fraglich, ob eine tatsächliche Mitgliedschaft nicht mehr verlangt wird. Überzeugender wäre es, zu dem Handeln einen Willen zu fordern, der entsprechenden Organisation anzugehören und in deren Namen zu handeln. Zumindest nach den Äußerungen von Yildiz‘ Verteidiger ergäbe sich an keiner Stelle des Überwachungsmaterials, dass Yildiz zu irgendeiner Zeit selbst PKK-Mitglied war.
Yildiz Aktaş: ein Leben gegen die Unterdrückung von Frauen und Kurd*innen
Dass mit Yildiz wohl kaum eine Terroristin im Saal saß, geht für mich aus ihren Erklärungen im Prozess hervor, die von ihrer Geschichte, ihrer Motivation und ihren politischen Aktivitäten erzählten. Schon mit 12 Jahren wurde sie in den 1980er Jahren als jüngste Gefangene in dem berüchtigten Gefängnis Nr. 5 in Diyarbakır gefoltert und misshandelt. „Ich war noch ein Kind und wurde von heute auf morgen, ohne zu verstehen warum, zu einer Terroristin“, so Yildiz. In der Zeit im Gefängnis lernte sie die kurdische Aktivistin Sakine Cansız kennen, die dort auch inhaftiert war. Yildiz baute eine sehr enge Bindung zu ihr auf und betont, dass Cansız ihr viel Kraft während der Haft gegeben habe. Seitdem war und ist Yildiz‘ Leben geprägt vom Kampf für die Stärkung der Rechte der Kurd*innen und vor allem für die Rechte von Frauen und anderen Personen, die unter patriarchalen Strukturen leiden. Wie unzählige feministische Aktivist*innen weltweit plante sie Demonstrationen für den 25. November und den 8. März. Sie setzte sich für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und für deren Bildung ein, gegen Zwangsheirat, Ehrenmorde, Vergewaltigung und andere Formen der sexualisierten Gewalt. Es war ihr wichtig, dass Frauen einen Platz in der Öffentlichkeit haben. Nicht zuletzt sieht Yildiz im türkischen Staat und dessen Institutionen mit seinem patriarchalen Charakter einen Feind. Es ging ihr dabei nie um ein elitäres Politikverständnis, sondern sie handelte aus Überzeugung. Sie suchte immer das Gespräch mit anderen Frauen, ging dafür von Tür zu Tür, um mit ihnen über ihre Erfahrungen zu reden und sich darüber auszutauschen, wie gesellschaftliche Gleichberechtigung erreicht werden könne. Das Zusammensein mit Frauen habe ihr stets Halt und Kraft gegeben.
Es ging Yildiz vor allem darum, für ein gutes und würdevolles Leben für alle zu kämpfen. In der Türkei arbeitete sie ausschließlich in legalen Strukturen. Ausgehend von gängigen Terrorismusdefinitionen, die als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele die Begehung von Straftaten durch Gewalt fordern, wäre es falsch, Yildiz als Terroristin zu bezeichnen. Sie bediente sich nie gewaltvoller Methoden und übte ihren politischen Aktivismus immer gewaltfrei aus. Dennoch drohten ihr wegen ihrem politischen Engagement in der Türkei weitere Haftstrafen, weshalb sie 2012 nach Deutschland kam. In Deutschland war sie besonders nach der Ermordung von Sakine Cansız, Leyla Söylemez und Fidan Doğan, die sie emotional erschütterte, politisch aktiv. 2018 wurde sie dann in Deutschland festgenommen. Mit der Haftstrafe droht ihr zusätzlich ein Entzug ihres Asylstatus.
Deutsches Strafrecht – Instrument zur Kriminalisierung von Gegner*innen der AKP-Regierung
Diese Umstände wurden im Urteil berücksichtigt. Dennoch hielt das Gericht an der Auffassung fest, die PKK sei eine terroristische Organisation und die Handlungen von Yildiz somit strafbar. Dass das so nicht sein muss, hat unlängst ein Urteil des belgischen Kassationshofs gezeigt, das in der PKK keine Terrororganisation sah. Die geladenen Zeug*innen im Prozess gegen Yildiz trugen kaum zu einer gelungenen Darstellung der Gegenseitigkeit des Konflikts bei und glänzten hauptsächlich durch ihr Unwissen über politische und gesellschaftliche Hintergründe. Eine Beamtin gab an, für die Übersetzung von türkischen oder kurdischen Quellen Google Translator zu nutzen, denn sie selbst spreche keine der beiden Sprachen. Einem anderen Kriminalbeamten sagen Begriffe wie „Verschwindenlassen“[2] überhaupt nichts. Dass derartige Ermittlungen eine Grundlage für die Strafbarkeit einer Person darstellen, erscheint rechtsstaatlich kaum tragbar.
Trotz der wiederholt
festgestellten Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Türkei wurde sie
als Akteurin staatlicher Gewalt im gesamten Verfahren überwiegend außer Acht
gelassen. Zu erkennen, dass der Konflikt und die Gewalt von zwei Seiten ausgeht,
ist für die Gerichte jedoch unerlässlich, um richtig über ausländische
bewaffnete Organisationen zu urteilen. Zumindest die Kenntnis grober gesellschaftlicher
und politischer Zusammenhänge sollte auch bei den Ermittler*innen
vorausgesetztes Wissen sein. Insgesamt wurde deutlich, dass die Anklage nicht auf
der Verbindung zu strafbaren Handlungen beruhte, sondern vielmehr dem Wunsch
des politischen Verbündeten in der Türkei entsprach, kurdische Aktivist*innen
zu verfolgen. Mit der Verfolgung
und Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden erweist sich Deutschland weiterhin
willig, Erdoğans Krieg gegen die Kurd*innen auch hier fortzuführen.
[1] Joecks/Jäger, SK-StGB, § 129, Rn. 3f.
[2] Das Verschwindenlassen ist neben Vertreibungen, Inhaftierungen und Folter eine Form der Gewaltausübung, die die türkische Seite anwendet. Nach Art. 7 I lit. i IGH-Statut zählt die Praxis des Verschwindenlassens als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es umfasst gem. Art. 7 II lit. i IGH-Statut „die Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen durch einen Staat oder eine politische Organisation oder mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates oder der Organisation, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen.“