Am 17.3.2016 trat in Deutschland ein Gesetz in Kraft, mit dem der Familiennachzug zwei Jahre lang für alle ausgesetzt wird, die in Deutschland als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt wurden. Den Status der subsidiären Schutzberechtigung erhalten insbesondere Bürgerkriegsflüchtlinge, zum Beispiel aus Syrien. Mit dem neuen Gesetz dürfen sogar unbegleitete Kinder ihre Eltern nicht mehr nach Deutschland holen. Deutschland steht mit den Verschärfungen nicht allein. Auch in Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark sind Maßnahmen zur Einschränkung des Angehörigennachzugs beschlossen oder in Vorbereitung. Europa setzt das Menschenrecht auf Familie aus.
Verletzung des Rechts auf Familie durch Christ- und Sozialdemokraten
Dies ist unzulässig. Das Recht auf Familie ist ein Menschenrecht. Die Aussetzung des Familiennachzugs verstößt gegen das Grundgesetz, gegen Völkerrecht und gegen EU-Recht.
Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung behauptet lapidar, die Aussetzung des Familiennachzugs „[sei] mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar“. Zu deutschem Verfassungsrecht und Völkerrecht äußert sie sich überhaupt nicht. Die Christ- und Sozialdemokraten haben ohne nur einen Hauch von Rechtfertigungsversuchen das auf allen drei Rechtsebenen verbriefte Recht auf Familie ausgesetzt.
Verstoß gegen EU-Familienzusammenführungs-RL
Die EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie regelt den Familiennachzug zu allen Drittstaatsangehörigen in der EU (Art. 1). Für Flüchtlinge wurden erleichterte Voraussetzungen für eine Zusammenführung ihrer Familien in der EU geschaffen und eine Aussetzung des Rechts ist unzulässig (Art. 9 ff.). Eine Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte ist nach dem Wortlaut der Richtlinie hingegen nicht verboten, obwohl die Situation beider Schutzgruppen vergleichbar ist. Die Wiederherstellung der Familieneinheit im Herkunftsland ist für beide unmöglich, weil eine Rückreise der Betroffenen mit einer begründeten Furcht vor schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden wäre:
Der subsidiäre Schutz wird zuerkannt, wenn eine Person „stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat“, dass ihr in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. „Als ernsthafter Schaden gilt: a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder, c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“. (Art. 2 f, Art. 15 EU-Qualfikations-RL)
Die Flüchtlingseigenschaft wird zuerkannt, wenn eine Person sich „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe [sich] außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will.“ (Art. 2 d Qualfikations-RL)
Warum behandelt die Familienzusammenführungs-RL diese beiden Gruppen, die zusammenfassend als internationaler Schutz bezeichnet werden, dennoch nicht gleich? Das liegt daran, dass die Qualifikations-RL, die den Schutzstatus des subsidiär Schutzberechtigten als gleichwertig mit dem Flüchtlingsstatus einführte, erst nach der Familienzusammenführungs-RL erlassen wurde.
Die später verabschiedete EU-Qualifikationsrichtlinie avisiert jedoch eine Gleichstellung von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten (Erwägungsgründe 8, 9 und 39, Art. 1 Qualfikations-RL). Nach der Auslegung des EuGH im Urteil vom 01.03.2016 zu der Zulässigkeit von Wohnsitzauflagen für subsidiär Schutzberechtigte, heißt es, dass der Unionsgesetzgeber unter Berücksichtigung der Forderung des Stockholmer Programms einen einheitlichen Status für alle Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, einführen wollte und sich deshalb dafür entschieden hat, den Personen mit subsidiärem Schutzstatus, abgesehen von den notwendigen und sachlich gerechtfertigten Ausnahmeregelungen, dieselben Rechte und Leistungen zu gewähren wie Flüchtlingen.
Die Ungleichbehandlung kann nicht mit der Behauptung gerechtfertigt werden, dass der subsidiäre Schutzstatus nur ein vorübergehender Schutz sei. Denn die Aufenthaltsdauer hängt bei Bürgerkriegsflüchtlingen zunächst maßgeblich von den Entwicklungen im Heimatland ab. SyrerInnen zum Beispiel werden auf unabsehbare Zeit bleiben, weil unklar ist, wie lange der Konflikt dauern wird. Nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland, können subsidiär Schutzberechtigte einen unbefristeten Aufenthaltstitel § 26 Abs. 4 AufenthG erwerben. Dass bei der subsidiären Schutzberechtigung nicht generell von einer fehlenden Bleibeperspektive ausgegangen werden kann, hat das BVerfG mit Beschluss vom 10. Juli 2012 im Zusammenhang mit Familienförderleistungen festgestellt.
Daher verstößt die Einschränkung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte gegen die Systematik der Familienzusammenführungs-RL sowie gegen ihren Sinn und Zweck.
Verstoß gegen EU-Grundrechte-Charta und Familienzusammenführungs-RL bei Kindern
Bei Minderjährigen ist die Aussetzung des Familiennachzugs auch nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Familienzusammenführungs-RL europarechtswidrig: „Bei der Prüfung des Antrags tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass das Wohl minderjähriger Kinder gebührend berücksichtigt wird.“ (Art. 5 (5)). Das Kindeswohl muss auch bei einer ansonsten grundsätzlich erlaubten „Wartezeit“ berücksichtigt werden (Art. 8). Dass der Staat einem Kind die Wiedervereinigung mit seinen Eltern verweigert, beeinträchtigt das Kindeswohl in den allermeisten Fällen offensichtlich erheblich.
Das Europarecht-durchführende mitgliedstaatliche Recht (hier: die Umsetzung der Familienzusammenführungs-RL durch §§ 27 ff., 104 Abs. 3 AufenthG) muss sich zudem an der EU-Grundrechte-Charta messen lassen (Art. 51 Abs. 1 GR-Charta). Der EuGH bestätigte, dass das Recht auf Familienleben nach Art. 7 GR-Charta das Recht auf Familienzusammenführung umfasst. Das Recht auf Familie muss bei Kindern zusätzlich in Verbindung mit den Grundrechten der Kinder nach Art. 24 Abs. 2 und 3 GR-Charta gelesen werden. Danach muss bei allen Kindern betreffenden Maßnahmen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. Außerdem hat jedes Kind einen Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen.
Bei einer allgemeinen Überprüfung der Familienzusammenführungs-RL anhand der Charta-Grundrechte stellte der EuGH fest, dass die Kinder- und Familienrechte zwar keine individuellen Rechte von Familienangehörigen auf Einreise in einen Mitgliedstaat begründeten. Bei der Prüfung eines Antrags müsse allerdings eine faire und angemessene Abwägung der betreffenden widerstreitenden Interessen insbesondere bezüglich der Förderung des Familienlebens vorgenommen werden und die beste Lösung für das Kind ermittelt werden. Es müsse eine vertiefte Prüfung der Familiensituation vorgenommen werden, welche Umstände faktischer, emotionaler und finanzieller Art gebührend berücksichtigt. Insofern fordert vorrangiges EU-Recht eine Prüfung des Einzelfalls im Rahmen einer Ermessensentscheidung. Gerade dies wird aber durch die pauschale Aussetzung des Familiennachzugs in Deutschland momentan nicht gewährleistet.
Petition an den Bundestag und die Bundesregierung
Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung mögen daher sicherstellen, dass Anträge auf Familiennachzug zu subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen in jedem Einzelfall von den deutschen Auslandsvertretungen weiterhin entgegengenommen, bearbeitet und positiv entschieden werden, insbesondere wenn minderjährige Kinder betroffen sind. Unterzeichne diese Petition hier!