Rassismus – (K)ein Mordmotiv im Prozess gegen Rolf Z.

Am 11.7.2016 verurteilte das Landgericht Berlin Rolf Z. wegen Mordes zu elf Jahren und sieben Monaten Haft. Nach 22 Verhandlungstagen war klar: Der 63-jährige hatte den 31-jährigen Briten Luke Holland in den Morgenstunden des 20. Septembers erschossen. Weder kannten sich Opfer und Täter, noch scheint es zu einem Konflikt gekommen zu sein. Das Motiv laut Gericht: Nicht feststellbar. Die Nebenklage hingegen ist überzeugt: Es handelt sich um einen rassistischen Mord.

Fremdenfeindlichkeit? „Ein vager Rückschluss aus seiner Sammelleidenschaft“

Im „Herrenzimmer“ des Angeklagten waren neben einer Fahne der bekannten neonazistischen Band Landser umfangreiche Nazidevotionalen wie Hitler-Büste und -Bild gefunden worden. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Gericht sahen zwar die Täterschaft belegt und das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt, wollten sich aber nicht auf eine rechtsextreme Einstellung des Angeklagten festlegen. Die Einrichtung des Zimmers lasse „Ausländerhass“ – so Rassismus im Rechtsjargon – zwar möglich erscheinen, sei „aber nur ein vager Rückschluss aus seiner Sammelleidenschaft“, so Richter Miczajka in der Urteilsbegründung. Ähnlich sieht das der zuständige Staatsanwalt. Die Beweisaufnahme habe gezeigt: „Der Angeklagte war kein Ausländerfreund“. Luke Holland, weißer Engländer, im Wortlaut des Gerichts „durchschnittlicher Mitteleuropäer“, sei aber als Ausländer gar nicht zu erkennen und Rolf Z. darüber hinaus auch mit Ausländern befreundet gewesen. Die Frage nach dem Motiv müsse daher unbeantwortet bleiben.

„Der Angeklagte ist ein Rassist“

Dass weitergehende Definitionen von Rassismus ihren Platz nicht nur in Diskussionen fernab des Gerichtssaals haben, zeigte Rechtsanwalt Onur Özata, der die Eltern Luke Hollands in der Nebenklage vertrat. In seinem Plädoyer, das in der Berichterstattung (hier eine Übersicht) kaum Beachtung fand, kam er daher zu einer anderen Einschätzung als Gericht und Staatsanwaltschaft. Für ihn ist klar: „Der Angeklagte ist ein Rassist“. Dies manifestiere sich u.a. in seinem Hass auf Araber_innen und Türk_innen. Dies sah er sowohl durch die Einrichtung des Zimmers als auch durch Zeug_innenaussagen belegt. Rolf Z.s ehemalige Lebensgefährtin berichtete beispielsweise, er habe ihr ein Verhältnis mit „Kanaken“[1] vorgeworfen, darüber hinaus hatte sich der Angeklagte wohl darüber beschwert, dass nur noch Englisch und Spanisch gesprochen würde.

Dem Richter hingegen fehlten für eine ideologische Einordnung Zeug_innenaussagen, die eine über das Sammeln hinausgehende Nähe zu NS-Gedankengut bestätigt hätten. Eine solche hätte sich laut Miczajka zum Beispiel aus nachgewiesenen Verbindungen zur NPD ableiten lassen. Özata wies darauf hin, dass für die Bewertung einer Einstellung kein politisches Engagement notwendig sei. „Man muss nicht auf Nazi-Demos mitlaufen, um Rassist zu sein. Man kann allerdings kein Neonazi sein, ohne Rassist zu sein“, so der Rechtsanwalt. 

„Weil er es kann“

Besonders deutlich wurden die unterschiedlichen Konzeptionen von Rassismus bei den jeweiligen Ausführungen zur Bar „del rex“, in der sowohl Rolf Z. als auch Luke Holland in der betreffenden Nacht zu Gast waren und vor deren Tür Letzterer erschossen wurde. Die Bar hatte sich in den letzten Jahren von einer Rockerkneipe zu einem Treffpunkt für internationales Publikum entwickelt. Dass der Angeklagte die Bar dennoch besuchte, passe laut Gericht nicht mit einer allgemeinen Ablehnung von Ausländer_innen zusammen. Auch die Nebenklage stellte sich die Frage, warum ein Rassist in eine solche Bar gehe, kam jedoch zu einer anderen Antwort: Rolf Z. sei als weißer Mann strukturell privilegiert. Der springende Punkt sei, dass er einfach in diese Bar gehe, „weil er es kann“. Der Besuch der Bar sei daher kein Hinweis darauf, dass der Angeklagte nicht rassistisch sei.

Die unterschiedlichen Rassismusverständnisse manifestieren sich nicht nur in der Interpretation von Beweisen und Zeug_innenaussagen, sondern auch in deren Berücksichtigung. Während sich die Verwendung des Begriffs der „Sammelleidenschaft“ für die Ansammlung an Waffen und NS-Reliquien zumindest begrifflich nachvollziehen lässt, passt die Landser-Fahne nicht in diese Kategorie.

Die Fahne mit dem Titel des in Deutschland indizierten Albums „Deutsche Wut“ weist noch deutlicher auf eine rechtsextreme Einstellung hin als der Besitz der Hitler-Büste, und hätte darüber hinaus Fragen zu möglichen Szeneverbindungen nach sich ziehen können. Dass die Fahne im Plädoyer der Staatsanwaltschaft und im Urteil gar nicht genannt wird fällt besonders auf, da sie für die Nebenklage ein durchaus zentrales Element in der Beweisaufnahme darzustellen scheint. Ein rassismuskritischer Blick bedeutet hier auch eine andere Gewichtung von Beweismitteln.

Wird Rassismus eng verstanden als artikulierter Hass gegenüber Ausländer_innen, die als solche durch ein tatsächliches Erscheinungsbild identifizierbar sind, so steht am Ende des Prozesses ein kauziger Sammler mit Interesse an der Zeit des Dritten Reiches da. Folgt man einem erweiterten Rassismusverständnis, das von einer sozialen Praxis in Form einer Konstruktion der „Anderen“ ausgeht, von einer Abwertung eben dieser, von einer imaginierten Gefahr der Verdrängung und in unserem Fall von einem weißen Waffennarr, der sich (neo-)nazistischen Ideen verbunden fühlt, so wird man dem Vater Luke Hollands zustimmen, der meinte: „Die Beweise haben gezeigt, dass der Angeklagte ein Fremdenfeind war“.

Von der Ideologie zum Motiv

Das Plädoyer der Nebenklage hat gezeigt: Es wäre in diesem Prozess möglich gewesen, eine rassistische Ideologie des Angeklagten zu erkennen, zu benennen und so einer Entthematisierung von Rassismus vor Gericht entgegenzuwirken.

Eine andere Frage ist, ob sich aus einer generellen rassistischen Ideologie eine rassistische Motivation zum Tatzeitpunkt ableiten lässt und damit Rassismus als Mordmotiv beweisbar war. Da der Angeklagte schwieg und keine Zeug_innen die Tat beobachteten, scheint eine solche Ermittlung des Motivs auf den ersten Blick schwierig. Interessant ist hier der Blick nach Sachsen, wo das Landgericht Leipzig 2011 die Tätowierung der Mörder von Kamal K. als Beweise heranzog und diese wegen Mordes aus Fremdenhass verurteilte, der BGH bestätigte das Urteil. Die Angeklagten im Leipziger Prozess waren allerdings in der rechtsextremen Szene organisiert und hatten ihre rassistische Einstellung in der Vergangenheit öffentlich erkennen lassen.

Sicherlich spielte für das Berliner Gericht auch eine Rolle, dass mit der Erfüllung des Mordmerkmals der Heimtücke eine wasserdichte Verurteilung des Angeklagten Rolf Z. möglich war. Die Anerkennung eines rassistischen Motivs, und damit die Erfüllung des Mordmerkmals der niederen Beweggründe, hätte im Strafmaß nichts verändert und das Urteil womöglich anfechtbarer gemacht – wäre aber auch ein starkes politisches Signal gewesen. Umso wichtiger wäre es schon im Rahmen der Ermittlungen als auch während des Prozesses gewesen, die rechtsextreme Einstellung Rolf Z.s mehr ins Zentrum zu rücken.

 

[1] Eine Reproduktion der rassistischen Bezeichnung hätte ich gerne vermieden, halte die Nennung dieser im gegebenen Kontext aber für wichtig.

Wer erinnert sich? Kolonialismus, Völkermord und Zwangsarbeit.
Auch Sexarbeit ist Arbeit!