Seit Sommer letzten Jahres ist das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Am 30. Oktober 2018 zogen fünf Vertreter*innen aus Rechtswissenschaft und Praxis an der Humboldt Universität Bilanz. Der Titel der Veranstaltung: Nationale Prostitutionsgesetzgebung und verwandte Reformen zur Bekämpfung des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung. Er zeigt die zentrale Problematik des Gesetzes auf: Wer oder was wird tatsächlich geschützt, kontrolliert oder reguliert?
Optimistische Zielsetzung und unzureichende Einbeziehung der Praxis
Das „Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ (Prostituiertenschutzgesetz – ProstSchG) trat im Juli 2017 in Kraft. Es soll die Rechtsstellung der freiwilligen Sexarbeiter*innen verbessern und diese vor Gewalt, gesellschaftlicher Stigmatisierung sowie diversen Formen von Ausbeutung schützen. Bordellbetreiber*innen sollen der Gewerbeordnung unterstellt und noch dazu Zwangsprostitution und organisierter Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung bekämpft werden. Das Ergebnis der Podiumsdiskussion: Ein derart facettenreiches Programm verspricht aus gutem Grund wenig Erfolg.
Legalisierung der Sexarbeit in Deutschland 2002 – nicht zu Ende gedacht
Ulrike Lembke, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der HU Berlin fasste die Problematik treffend zusammen: Ziel der Legalisierung von Sexarbeit in Deutschland war ihre Regulierung und Reglementierung. Das ProstG von 2002 wurde diesen Ansprüchen jedoch nicht gerecht. Das Vorgängergesetz war unzulänglich und viele Fragen blieben ungeklärt, die das neue ProstSchG von 2017 auf adressat*innenfreundlichere Art beantworten sollte.
In den Debatten um das neue Gesetz erkannte Margarete von Galen, Rechtsanwältin und Richterin des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin zwei Strömungen: Einerseits sollte der Zugang zu Sexarbeit erschwert, andererseits die vorhandene Sexarbeit stärker reguliert werden. Was als Strategie zur Bekämpfung von Menschenhandel gedacht war, trifft in der Realität vor allem freiwillige Sexarbeiter*innen. Das Gesetz schreibt eine aufwendige Anmeldeprozedur vor: Den „Prostituiertenpass“, mit dem sich Sexarbeiter*innen auch an ihrem Arbeitsplatz ausweisen müssen, erhalten diese erst nach einer Gesundheitsberatung nach § 10 ProstSchG durch eine „für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zuständige Behörde“, einstündig, einmal im Jahr. Sexarbeiter*innen, die jünger als 21 Jahre sind, müssen sich alle sechs Monate beraten lassen. Danach folgt das allgemeine Informations- und Beratungsgespräch (§ 8 ProstSchG): Eine „Prostitutiertenberatung“ von Nicht-Sexarbeiter*innen für Sexarbeiter*innen. Die Vorstellung, es könne sich so ein Vertrauensverhältnis entwickeln, auf dessen Basis sich ein Opfer von Menschenhandel offenbaren würde, ist gleichermaßen absurd wie erhellend. Selbst geschulten und sensibilisierten Mitarbeiter*innen dürfte es weitgehend unmöglich sein, in solch einem Rahmen Opfer von Menschenhandel zu erkennen. Und die Anmeldepflicht geht auch in einem weiteren Punkt an Erfahrungen vorbei, die in der Praxis gemacht wurden: Sie kann missbraucht werden, um Druck auf Sexarbeiter*innen auszuüben, und Abhängigkeiten schaffen, etwa indem Zuhälter*innen die Bescheinigungen einbehalten oder damit drohen, dies zu tun.
Angst vor dem staatlichen Behördenapparat
Damit trifft das Gesetz vor allem jene, die in der gegenwärtigen gesellschaftlichen und medialen Diskussion am wenigsten Beachtung finden – diejenigen Sexarbeiter*innen, die ihren Beruf selbstbestimmt ausüben. Im Fokus der Kontrollen stünden zudem fast ausschließlich Frauen*, informierte Johanna Weber, Gründerin des BesD e.V., in der Podiumsdiskussion. Ein Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten werde außerdem hart geahndet, Geldbußen und der Entzug der Arbeitserlaubnis können die Folge sein. Auch entspreche die mit dem Gesetz einhergehende Datenerfassung durch Behörden nicht dem Wunsch vieler Sexarbeiter*innen nach Anonymität. Werden die Daten tatsächlich nur bei der Anmeldebehörde gespeichert oder auch an andere Institutionen weitergeleitet, und wenn ja, an welche? Die Ausländerbehörde, eventuell das Jugendamt? Angst vor Sorgerechtsverlust, Streichung von Sozialleistungen und Abschiebung ist besonders unter Sexarbeiter*innen aus Nicht-EU-Ländern weit verbreitet. In der Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Hilfe und anderer Organisationen vom 21. September 2015 gibt die Frauenreferentin Marianne Rademacher zu Bedenken, dass Kontrollen und Repression Menschen in die illegale Berufsausübung treiben könnten und damit weg von Präventions- oder Hilfsangeboten, die auf freiwilliger Basis gerne angenommen würden.
Das Narrativ des*r Sexarbeiter*in als ausgebeutetes Opfer von Menschenhandel
Noch vor der Ausarbeitung des Gesetzes von 2017 hatte der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD e.V.) gefordert, dass die „Entkriminalisierung von Sexarbeit und ihre berufliche Anerkennung“ sowie „eine stärkere sachliche Trennung von Menschenhandel und Sexarbeit“ im Mittelpunkt stehen sollten. Vergeblich: Das Prostituiertenschutzgesetz vermengt die Themenfelder Sexarbeit und Bekämpfung von Menschenhandel und bedient damit das Narrativ des*r Sexarbeiter*in als ausgebeutetes Opfer von Menschenhandel.Dafür hat das Gesetz etwa die Strafbarkeit erweitert, indem es nun fünf statt drei Tatbeständen erfasst. Dies habe aber nicht zu einer steigenden Anzahl von Ermittlungsverfahren geführt, bemerkte Martin Heger, Professor für Straf- und Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Neuere Rechtsgeschichte an der HU Berlin.
Ende der Diskussion?
Aus einem Bericht des nordrhein-westphälischen Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung vom 07. November 2018 geht hervor, dass sich im Bundesland Nordrhein-Westphalen bis zum 31. März 2018 nur 10 Prozent der Sexarbeiter*innen, deren Anzahl im Land auf 42.000 geschätzt wird, tatsächlich bei den Behörden angemeldet habe. Dies unterstreicht das Fazit der Podiumsdiskussion an der Humboldt-Universität: Das Gesetz ist ineffektiv, treibt Menschen in den illegalen Arbeitsmarkt und stigmatisiert gerade die freiwilligen Sexarbeiter*innen, die es vorgibt zu schützen. Das Ziel, Menschenhandel zu bekämpfen, verfehlt es in Gänze.